Die narzisstische Gesellschaft
mehr, weil sich seine Frau seit zwei Jahren sexuell völlig verweigert und sich auch sonst abweisend verhält. Er «leidet wie ein Hund» und klagt anfangs ausschließlich über das für ihn völlig unverständliche Verhalten seiner Frau. Dabei wird eine tiefe Kränkung deutlich. Er berichtet ausführlich darüber, was er alles für seine Frau getan habe. Er habe das Geld herangeschafft, ihre Weiterbildung bezahlt, ein Haus für sie gebaut, sie bei allen schwierigen Entscheidungen mit Rat und Tat unterstützt, große Reisen organisiert, teure Mode für sie bezahlt. Alles in allem: «Ich habe immer alles für sie gemacht.» Dass er dafür keinen deutlichen Dank, keine Anerkennung von ihr erhalten habe, sondern den Eindruck bekam, es sei nie genug, sie sei nicht wirklich zufriedenzustellen, war schon eine enttäuschende Erfahrung. Als sie sich dann auch noch sexuell verweigerte, wusste er nicht mehr weiter. Er wolle die Beziehung nicht aufgeben oder ein Verhältnis mit einer anderen Frau beginnen, aber er müsse seine sexuelle Not lösen, da ihn Masturbieren nicht mehr ausreichend befriedigen könne.
In der therapeutischen Arbeit wurde allmählich deutlich, dass seine Bemühungen um seine Frau stark davon getragen waren, von ihr anerkannt, bestätigt und geliebt zu werden. Nun war nahezu das Gegenteil geschehen. Er sah sich real abgelehnt. Mit dieser Erkenntnis konnte er seine Bemühungen kritischer sehen bis hin zu einer tiefen Erschütterung, dass er immer nur geglaubt hatte, alles für seine Frau zu machen; in Wirklichkeit hatte er es ausschließlich für sich, für seine narzisstische Regulierung gebraucht: «Ich bin gut, es ist großartig, was ich alles aufbringe und mache» – um seine große, aber tief verschüttete Bedürftigkeit endlich erfüllt zu bekommen. So wurde ihm zunehmend klar, dass er seine Frau wie ein «Mutter-Bediener» behandelt hatte und sein Bemühen um mütterliche Anerkennung lediglich auf seine Frau übertragen hatte – wie bereits in der gescheiterten ersten Ehe. Nun konnte er auch besser verstehen, dass die Erwartungen hinter seinen Bemühungen von seiner Frau als bedrängend erlebt wurden, dass sie offensichtlich spürte, seine Bedürftigkeit nicht stillen zu können. Ihr Rückzug aus der Beziehung und ihre sexuelle Verweigerung waren wie eine Schutzreaktion gegen unerfüllbare Erwartungen seinerseits. In später folgenden Zwiegesprächen vermochten sie beide zu erkennen, dass sie unbewusst wechselseitig große Erwartungen an den jeweils anderen gerichtet hatten, derart, dass der Partner die mangelnde Mutterliebe einerseits durch Anerkennung und Bestätigung, andererseits durch Hilfe und Zuwendung endlich erfüllen würde. Am Anfang waren beide zufrieden mit der Rollenverteilung: Er fühlte sich gut im Größenselbst mit dem Bemühen, alles für seine Frau zu tun, und sie war im Größenklein gut versorgt.
Zunehmend aber fehlte ihm die Anerkennung für seine Anstrengungen, und sie wurde immer gereizter angesichts des Erwartungsdrucks, für ihn und sein Bedürfnis nach Bestätigung zur Verfügung stehen zu sollen, wo sie doch selbst Zuwendung so dringend brauchte. Und auch der Sex war von seiner Seite aus vorwiegend narzisstisch besetzt, indem er ausschließlich an die eigene Befriedigung dachte, verbunden mit der Größenselbst-Überzeugung, wenn er es ihr nur «richtig besorgen» würde, müsse ihr das auch gefallen. Für Zärtlichkeiten oder ein Interesse an ihrem Orgasmus blieb da kein Raum.
In der Paartherapie ging es erst einmal darum, sich mitzuteilen und vor allem zuhören zu lernen, dabei die Bedürftigkeit und Begrenzung des anderen zu sehen und zu verstehen. Der nächste Schritt bestand darin, von den Anstrengungen abzulassen, die mit der Erwartungshaltung verbunden waren, vom anderen dafür gelobt und in den Arm genommen zu werden. Beide lernten, das, was der Einzelne für sich macht, von dem zu unterscheiden, was wirklich hilfreich für den anderen ist, und dass der Wunsch, für Letzteres auch «bezahlt» zu werden, völlig in Ordnung ist. Es ging mit anderen Worten darum, Geben und Nehmen zu verhandeln und die Beziehung auf dieser Basis von falschen Ansprüchen zu entlasten. Sexuelle Begegnungen sind jetzt wieder möglich; für ihn könnte es noch öfter sein, aber beide sind mit ihrer sexuellen Lust ganz zufrieden.
Für beide war die Erkenntnis wichtig, dass sie sich in der Partnerschaft bislang so verhalten hatten, als habe der jeweils andere die Verpflichtung, wie
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