Die narzisstische Gesellschaft
Sprachsymbolik noch nicht ausgebildet ist, ist die Beziehungsqualität für das Kind die prägende Orientierung: Tonfall, Mimik, Gestik, emotionale Befindlichkeit der Bezugsperson, die Art, wie das Kind angeblickt, berührt und gehalten wird, vermitteln ihm Zuneigung, Verständnis oder Ablehnung und Unverständnis. Das Kind spürt, ob es geliebt wird oder nicht. Bei einer narzisstisch bedürftigen Mutter kann sich das Kind schwerlich «im Glanz der Augen» seiner Mutter spiegeln, es verhält sich geradezu umgekehrt: Eine solche Mutter möchte sich in den Augen des Kindes spiegeln. Da sie selbstunsicher ist, erhofft sie eine Aufwertung durch das Kind und durch ihre bemühte Mutterschaft: Sie braucht ihr Kind als Selbstobjekt. Sie erlebt das Kind als ein Teil von sich und nicht als ein eigenes, abgegrenztes Subjekt.
Schwangerschaft, Geburt und Stillen befördern einen solchen Missbrauch des Kindes zur narzisstischen Regulation und Selbstaufwertung durch Mutterschaft («mein Kind» – als wenn es die Mutter selbst geschaffen hätte). Deshalb haben narzisstisch gestörte Mütter größte Schwierigkeiten, ein Kind loszulassen. Wenn es sich nicht mehr wie ein Säugling und Kleinkind versorgen lässt, geht dem mütterlichen Narzissmus mit der (unvermeidbaren) Verselbständigung des Kindes und dessen Entfernung von der Mutter eine wesentliche Kompensation verloren. Solche Mütter kommen deshalb zunehmend in eine Krise, die depressiv bzw. psychosomatisch abgewehrt wird, oder sie verschärfen die Anstrengungen, das heranwachsende Kind an sich zu binden (eine wesentliche Quelle der «pubertären» Konflikte). Narzisstische Mütter sind immer im Begriff, ihre «gute Mütterlichkeit» herauszukehren, aber der Eindruck, dass das nur bemüht, angelernt und angestrengt ist, bleibt dem Kind nicht verborgen. Viele Mütter klagen dann, dass ihre beflissenen Bemühungen um das Kind nicht mit erwarteter Dankbarkeit (durch leuchtende Kinderaugen und glückseliges Lächeln) quittiert werden. Sie neigen dazu, sich darüber zu beklagen, dass ihr «redliches» Bemühen nicht anerkannt wird und der erwünschte Erfolg (Bestätigung guter Mütterlichkeit) ausbleibt («undankbares Kind», «schwieriges Kind»), oder sie führen Angriffe gegen den Vater, die Schule etc.
Natürlich ist das Bemühen um gute Mütterlichkeit höchst ehrenwert und unbedingt zu unterstützen, aber die verborgene narzisstische Bedürftigkeit der Mutter (oder auch des Vaters) lässt sich nun einmal nicht über das Kind erfüllen. Die Borderline-Mütter spielen «erwachsen» und sind in ihrem realen Erwachsensein ständig auf Hilfe und Unterstützung angewiesen. Die narzisstischen Mütter spielen die besonders gute Mutter und laufen dabei Gefahr, das Kind mit verlogener, falscher Mütterlichkeit zu «vergiften». Welche Störung bei einer Mutter vorliegt, ist nicht so entscheidend wie die Struktur der Lüge, die dem Kind vermittelt wird. Wenn die Borderline-Mutter etwa sagt: «Du bist böse, geh weg!», müsste die Aussage in Wahrheit lauten: «Ich habe große Schwierigkeiten, Mutter zu sein, und brauche deshalb Hilfe.» Oder wenn die narzisstische Mutter erklärt: «Ich liebe dich ganz und gar», so müsste sie in Wahrheit sagen: «Ich bin in meiner Liebesfähigkeit begrenzt, das tut mir leid, das liegt nicht an dir.»
Bei der Beratung von Müttern sollte die begrenzte Mütterlichkeit [8] thematisiert werden. Das eigene narzisstische Defizit zu erkennen, zu verstehen und emotional zu verarbeiten ist die beste Voraussetzung, wirklich gut Mutter oder Vater sein zu können. Das Kind reagiert viel mehr auf die Qualität der Beziehung, auf die unbewussten Motive der erfahrenen Zuwendung als auf die formale Versorgung. Reichliche Geschenke und großzügige materielle Ausstattung sättigen ein Kind eben nicht wirklich narzisstisch, können aber den Konflikt des Kindes verstärken, wenn ihm vorgehalten wird, dass es doch alles, was es wolle, auch bekomme und dennoch so undankbar und schwierig sei.
Eltern stehen in der Verantwortung, ihre eigene narzisstische Problematik so gut wie möglich regulieren zu lernen, ohne sie über die Kinder auszuagieren. Und sie können natürlich auch bemüht sein, dem Kind die eigene Not und Begrenzung zu vermitteln. Es ist ein entscheidender Unterschied für die Entwicklung des Kindes, ob es lernen kann, was bei den Eltern gut und schlecht ist, oder ob es sich verantwortlich und schuldig für das Befinden der Eltern erleben muss. In zwei
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