Die narzisstische Gesellschaft
Größenselbst verborgene Bedürftigkeit sich zeigen darf, ohne dafür beschämt und dann allein gelassen zu werden. Es besteht dabei stets die Gefahr, dass das Größenselbst nach besonderer Anerkennung durch den Therapeuten giert und dieser selbst sich in der «bedingungslosen Zuwendung» großartig fühlt – womit beide lediglich ihre narzisstische Abwehr chronifizieren. Ohne Konfrontation mit dem Liebesmangel kann es auch in einer therapeutischen Beziehung keine Linderung der narzisstischen Not geben. Therapeutische «Liebe» ist immer nur professionelle Liebe, die zu bezahlen ist und die den mütterlichen Liebesmangel niemals ausgleicht. Nur der Schmerz ist das Tor zu einem freieren Leben. Deshalb hat die Gefühlsarbeit – die Möglichkeit, frühe Gefühle zum Ausdruck zu bringen, etwa Wut über verletzende Behandlung, Schmerz über den Liebesmangel und Trauer über verhinderte und damit verlorene Lebensmöglichkeiten – einen zentralen Stellenwert in der Behandlung der narzisstischen Störung.
Ähnliches gilt auch für den Größenklein-Narzissten, der seine verborgene frühe Bedürftigkeit mit ausagierter Schwäche und Hilfsbedürftigkeit abwehrt und auf diesem Weg Zuwendung provoziert und fordert. Das Größenklein durch therapeutische Zuwendung zu bedienen, ist keine Kunst, das geschieht sehr oft, aber es kommt auf die Ermutigung an, durch den frühen Schmerz hindurch die eigene Lebensgestaltung selbst in die Hand zu nehmen. Dieser Weg ist hart; letztlich bedeutet er, auch den letzten Hoffnungsschimmer, doch noch geliebt zu werden, wenn man nur richtig bedürftig bleibt, aufzugeben und die «Nabelschnur» endgültig zu durchschneiden. Das erleben nicht wenige als bedrohliches Verloren- und Verlassenwerden, als einen Zustand nicht mehr verankerter Leere, den auszuhalten und durchzuarbeiten sehr schwer fällt. Psychopharmaka sind da im Grunde eine Erlösung, allerdings um einen hohen Preis: den Verlust autonomer Lebendigkeit bzw. lebendiger Autonomie.
Es bleibt dabei, allemal besser als Therapie ist Prävention. Diese muss allerdings schon sehr früh einsetzen; eigentlich bereits mit dem Geschehen der Zeugung und Empfängnis, dem Umgang mit der Schwangerschaft, der Art und Weise des Gebärens, der Einstellung zum Stillen und der Qualität mütterlicher und väterlicher Beziehungsangebote.
Will man für die Therapie der «normalen» narzisstischen Störung außerhalb von Leistungen der Krankenkassen eine Orientierung haben, so geht es um
Raum und Zeit zum Innehalten, Reflektieren und Erinnern;
die Möglichkeit, sich mitzuteilen, aus dem Bedürfnis heraus, gut verstanden zu werden, ohne Kritik, Belehrung, Beschämung, Vorwurf, Rat und Lob (unlängst sagte jemand zu mir: Er möchte gern einfach seinen Kopf in einen Schoß legen und nicht mehr verstehen müssen, sondern endlich auch mal verstanden werden);
die Gelegenheit und die Ermutigung, nach seinen Gefühlen zu forschen und diese auch ausdrücken zu lernen und dafür auch wieder Raum und Zeit zu finden. Dabei sind Antworten zu finden auf folgende Fragen: Wann kann ich welche Gefühle wo und wem zeigen? Und wann muss ich welche Gefühle wie zurückhalten?
Der Gefühlsausdruck ist das A und O für eine Entlastung aus narzisstischer Not. Über Gefühle bestehen sehr viele falsche und missverständliche Meinungen. Am wichtigsten ist wohl der Unterschied zwischen «gemachten» und echten Gefühlen. Erstere werden durch Animation aktiviert, benötigen also Außenreize, sie wollen etwas bewirken und auch zum Ausdruck bringen. Solche Gefühlszustände kann man für Stunden produzieren oder wochenlang darunter leiden (wie z.B. bei einer Depression). Ein echter Gefühlsausdruck kommt immer von innen, er geht auf eine innere individuelle Problematik oder ein entsprechendes Bedürfnis zurück, benötigt kein Publikum und dauert nie länger als höchstens 20 Minuten. Danach fühlt man sich wesentlich erleichtert, befreit, oft nahezu heiter, auch wenn man soeben noch mit sehr schmerzhaften Gefühlen und bitteren Erinnerungen zu tun hatte.
Ein weiteres Vorurteil gegenüber Gefühlausdrücken liegt in dem weitverbreiteten Vorurteil, etwas Emotionsgeladenes könne nicht gut und richtig sein («Affekt macht blöd»). Richtig ist hingegen,
dass die Gefühle der Wahrheit immer näher kommen als der Verstand;
dass man nur über emotionale Reaktionen wirklich in Kontakt kommt
und dass eine positive affektive Beteiligung alle Lernvorgänge wesentlich
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