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Die narzisstische Gesellschaft

Die narzisstische Gesellschaft

Titel: Die narzisstische Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Joachim Maaz
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    Alle notwendigen Entscheidungen lassen sich besser, richtiger und leichter treffen, wenn man vorher die damit verbundenen Gefühle zum Ausdruck hat bringen können. Unser Verstand ist dann nicht mehr emotional blockiert. Das soll keineswegs bedeuten, dass man je nach Situation nicht auch seine Gefühle zurückhalten können muss, wenn sachliche Reaktionen (etwa beim Autofahren) gefordert sind. Ein zurückgehaltener Ärger oder ein unterdrückter Frust lassen sich jedoch jederzeit – in einer dafür geeigneten Situation – nachträglich erinnern, aktivieren und abreagieren. Das ist eine basale Aufgabe der Psychohygiene.
    Zum Narzissmus gehört die Fassade der Coolness und Souveränität, deshalb werden Gefühle in aller Regel verachtet. Ist ein Narzisst hingegen wieder imstande zu weinen, ist das ein Zeichen beginnender Gesundung, soweit das überhaupt möglich ist und von der Umwelt zugelassen wird. Zum Narzissmus gehören aber auch die falschen, die hysterischen Gefühle, die dazu führen, dass ein «Gefühlsmacher» gar nicht verstehen kann, was mit «fühlen» gemeint ist, denn er wähnt sich ja als ein gefühlsbetonter Mensch. Er sucht «fun», «geile» Erlebnisse, gröhlende Begeisterung, lacht zu laut und an falscher Stelle, weint – wenn überhaupt – vorwurfsvoll und selbstmitleidig, ärgert sich überzogen und erlebt «Glück» in Äußerlichkeiten. Beobachter solcher «Gefühlszustände» fühlen sich verschreckt bis angewidert, auch geängstigt – anders als bei einem echten Gefühlsausdruck, der ergreift, berührt und mitschwingen lässt. Deshalb werten gefühlsblockierte Menschen echte Gefühle anderer gerne ab, um nicht das eigene Unterdrückte und Aufgestaute per «Ansteckung» in Bewegung kommen zu lassen. Solange die Abwehr steht und kein Zugang zu echten Gefühlen zugelassen wird, bleibt absolut unverstanden, was eigentlich gemeint ist. Gefühlsverleugnung, Gefühlsabwehr, Gefühlsabwertung und falsche Gefühle untermauern die narzisstische Störung.
    Erinnerung, Erkenntnis, Gefühlsausdruck und Kommunikation erfordern ein Netzwerk der «Beziehungskultur», in dem notwendige Verhaltensänderungen und neue Beziehungs- und Lebensformen ausprobiert, geübt, korrigiert, angeregt und unterstützt werden können. Wenn wir an die Dominanz der frühen Prägungen bis hin zu den neuronalen Vernetzungen im Gehirn denken, wird verständlich, dass neue Erfahrungen und Verhaltensweisen ständig trainiert werden müssen, um sie zu erhalten und weiter zu entfalten.
    Ein Hauptmissverständnis gegenüber der Therapie – und zugleich ein typisches narzisstisches Symptom – ist die Einstellung, man müsse nur «richtig» Therapie machen und dann sei alles anders und besser (Größenselbst) oder man könne gesund gemacht werden (Größenklein). Die Wahrheit ist, dass man gegen die narzisstische Störung ein Leben lang kämpfen muss. Dabei sind vier Schritte wesentlich: erinnern, sich mitteilen, fühlen, integrieren (neues Verhalten üben). Das ist sowohl für das Größenselbst als auch für das Größenklein eine Zumutung. Wer dennoch die Mühen auf sich nimmt, wird sich wesentlich besser fühlen und entspannter leben, obwohl er ein verletzter Mensch ist und bleibt. An die Stelle jener übergroßen Anstrengungen um narzisstischer Ziele willen, verbunden mit der immer wiederkehrenden Enttäuschung, dass die angemessene Anerkennung (Liebe!) ausbleibt, können zunehmend Freude, Stolz und Zufriedenheit über die eigenen, realen Leistungen treten. Und wenn die Hoffnung auf Erlösung aufgegeben werden kann, weil die Unerfüllbarkeit früher Sehnsüchte erkannt und akzeptiert worden ist, kann endlich der Freiraum dafür entstehen, das eigene Leben aktiv zu gestalten und sich an seinen Möglichkeiten zu erfreuen. Reale Schwierigkeiten müssen dann nicht mehr das gesamte frühe Elend wiederbeleben, sondern lassen sich angemessen beantworten und regulieren.

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    22 Liebe versus Narzissmus
    Die schwierigste Frage in der Beurteilung oder Bewertung der Beziehung zu Kindern ist das Motiv der Betreuung. Liebe zum Kind setzt Liebe zu sich selbst voraus. Nur wer sich selbst wirklich mag, wer also im besten Sinne narzisstisch in seinem Selbstwert, in der Selbstliebe gesättigt ist, kann sich auch einem anderen liebend zuwenden. Liebe ist die Fähigkeit, einfühlend beim anderen sein zu können, ihn freilassend so zu verstehen und anzunehmen, wie er wirklich ist (und nicht, wie er sein soll). Liebe ist

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