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Die narzisstische Gesellschaft

Die narzisstische Gesellschaft

Titel: Die narzisstische Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Joachim Maaz
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dem Weg zur politischen Macht nicht noch begünstigt, wie es in unseren westlichen Demokratien der Fall ist. Kein Beruf darf ohne entsprechende Prüfungen, die Sachkompetenz und persönliche Eignung berücksichtigen, ausgeübt werden. Warum sollte das nicht auch für politische Ämter gelten? Die narzisstische Störung darf nicht an die Macht!

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    24 Bankrott der narzisstischen Gesellschaft
    In seiner Ausgabe Nr.  32 vom 8 . August 2011 titelte
Der Spiegel
fragend: «Geht die Welt bankrott?», und hatte meiner Meinung nach nicht den Mut festzustellen, dass unsere (die westliche) Welt längst bankrott ist. Nur etwa zwanzig Jahre nach dem Untergang des real existierenden Sozialismus ist auch die «narzisstische Gesellschaft» ökonomisch und vor allem politisch-ideell am Ende. Und wieder sind es die Menschen selbst, die ihre Lebensform ruinieren. Der Bankrott ist die Folge einer Schuldensucht. Die Schuldensucht entstand aus der kollektiven Gier, über die Verhältnisse zu leben. Das ist ein exklusiv narzisstisches Symptom. Der innere Mangel, der frühe Mangel an Liebe und Bestätigung, hat ein Verlangen nach immer mehr Äußerlichkeiten, nach immer mehr Konsum und Verbrauch angeheizt, in der illusionären Hoffnung, das seelische Defizit materiell auffüllen zu können.
    Der Sozialismus ist gescheitert, weil die Menschen mehr haben wollten, als zu bekommen war, der Kapitalismus scheitert, weil die Menschen mehr verbrauchen, als sie verdient haben. Der Maßstab des «Verdienstes» orientiert sich nicht an der Realität, sondern an der irrationalen narzisstischen Bedürftigkeit. Das Leben auf Pump bringt ins Bild, dass die Realität des Lebens missachtet wird und einer trügerischen Hoffnung weichen muss.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich die Welt in zwei feindliche Lager gespalten, die kollusiv in der kollektiven Abwehr der unerträglichen Kriegsschuld verbunden waren. Dabei ist bis heute ein grundlegender Fehler der «Vergangenheitsbewältigung» nicht aufgelöst worden. Krieg wird bevorzugt machtpolitisch und ökonomisch interpretiert. Den verheerenden, im Grunde genommen unfassbaren Folgen begegnet man mit Gedenkfeiern, Gelöbnissen wie «Nie wieder!» und bestenfalls formalen Schuldbekenntnissen. Fast nie aber wird das ganz persönliche destruktive Potential verstanden; hervorgegangen aus individueller narzisstischer Not, kann es zu einem Massenphänomen mutieren, sobald bei den Betroffenen ein kritischer Punkt überschritten wird.
    Seitdem ich publiziere, bin ich unzählige Male nach den Ursachen von Gewalt gefragt worden, wenn etwa rechte oder linke Extremisten sich destruktiv abreagieren oder terroristische Anschläge verüben, wenn ein Amokläufer aus scheinbar unauffälligen Verhältnissen zum Mörder wird oder Kinder getötet werden – und stets gebe ich die gleiche Antwort, auch wenn sie die wenigsten hören möchten: Die wesentliche Quelle mörderischer Gewalt ist narzisstisch begründete Not. Nicht ausreichend geliebte und bestätigte Kinder müssen sich irgendwie zur Geltung bringen und ihre aufgestaute Wut abreagieren. Dieser Geltungsdrang aus frühem Mangel heraus wird immer suchtartig, gierig und am Ende destruktiv werden müssen, weil kein Erfolg dieser Welt, kein Geld und Gold ein frühes Defizit wirklich kompensieren können. Die berechtigte und letztlich auch unvermeidbare Aggression als Folge der erlittenen Qual ungenügender Bestätigung ist später die Quelle jeder unberechtigten Gewalt: im Größenselbst nach außen, im Größenklein nach innen. Gewaltexzesse sind immer Folge einer psychosozial begründeten Entwicklung, deren Ursache früher Liebesmangel ist, verstärkt und chronifiziert durch fortgesetzte soziale (narzisstisch kränkende) Abwertung, wie sie durch Armut, Arbeitslosigkeit, mangelhafte Ausbildung und fehlende Bestätigungschancen geschieht. Dann bedarf es nur noch eines Auslösers, den bei Einzeltätern ein individuelles und bei Gruppen- und Massenexzessen ein kollektives Kränkungs- und Verletzungserlebnis bietet.
    Die Analyse der auslösenden und der chronifizierenden, verstärkenden Faktoren alleine vermittelt noch keine ausreichende Erklärung für die Gewalttaten. Erst die – in der seelischen Tiefe verborgenen – narzisstischen Verletzungen mit ihrem Aggressionspotential ermöglichen ein ursächliches Verständnis des mordlüsternen Verhaltens. Für das Kind ist die Anerkennung seiner individuellen Existenz tatsächlich eine Frage auf Leben oder Tod.

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