Die Naschkatzen
zu ihm gesagt. »Ja, uns gefällt es auch«, hatte Phin geantwortet, aber es war schwierig, objektiv zu sein, da er hier aufgewachsen war. Generationen der Tuckers hatten als Bürgermeister das Rathaus und Temptation beherrscht, mit Ausnahme der beiden finsteren Garvey-Jahre, als es Stephens Vater wegen des Streits um die Neue Brücke gelungen war, Phins Vater das Amt zu entringen.
Und genau das war es, wonach Stephen nun trachtete. Phin war sich dessen sehr wohl bewusst, als er die Marmorstufen zu den altmodischen Ladenfassaden in der Main Street von Temptation hinabstieg. Irgendeinen Streit, den er auf die gleiche Weise ausschlachten konnte, wie sein Vater die Neue Brücke ausgenutzt hatte. Die Querelen um den Wasserturm waren nur Peanuts gewesen, und mit seiner Kampagne gegen die neuen Straßenlaternen konnte Stephen nichts erreichen, aber die Art, wie er sich auf die Pornogeschichte gestürzt hatte, zeigte, dass er darin seine mögliche Trumpfkarte sah. Was nur bewies, wie verzweifelt Stephen war.
Klar, seinen Cadillac durch die Schuld liederlicher Frauen aus der Unterschicht zu ruinieren, konnte einen Mann aus der Bahn werfen.
Phin erreichte das blassgrüne viktorianische Gebäude, in dem Tuckers Buchladen untergebracht war, erklomm die breite Holztreppe zur Veranda und drehte das Schild um, auf dem mit Buntstift in kindlich schiefer Schrift Bin um 16.00 zurück geschrieben stand. Dann setzte er sich in einen der gepolsterten Verandastühle und dachte mit fatalistischem Widerwillen an die bevorstehende Wahl. An einem Sieg lag ihm nichts; es war das Verlieren, das ihn wahnsinnig machen würde. Die Tuckers verloren nicht, insbesondere dann nicht, wenn dies die zusätzliche Qual mit sich brachte, einem Stephen Garvey dabei zusehen zu müssen, wie er Temptation mit seinen nervtötenden ›Familienwerten‹ ins Verderben steuerte. Gott verhüte eine weitere Schreckensherrschaft der Garveys. Also musste er Stephen im Auge behalten.
Eine halbe Stunde später saß Phin immer noch dort und verlor sich in Gedanken über Straßenlaternen, Wassertürme und Pornoverordnungen, als der Polizeichef von Temptation vorfuhr.
»Stephen war eben bei mir auf der Wache«, verkündete Wes Mazur, als er aus dem Streifenwagen stieg.
»Sag nichts, lass mich raten«, erwiderte Phin. »Er will mich wegen bürgermeisterwidrigen Verhaltens verhaften lassen. Vernachlässigung der Bürgerpflicht.«
»So in etwa.« Wie immer mit unbekümmertem Blick aus dicken schwarzen Brillengläsern kam Wes die Stufen hoch. »Er will, dass ich zur Whipple-Farm hinausfahre und gewisse Frauen überprüfe, die ihm reingefahren sind.«
Phin nickte. »Er hat sie erwähnt. Liederliche Weibsbilder. Und mögliche Pornoproduzentinnen.«
»Wirklich?« Mit aufgeheiterter Miene nahm Wes Platz. »Und woher wissen wir das? Nein, warte, ich hab‘s schon. Die Whipple-Farm. Clea Whipple. Sauber gespritzt.«
»Du hast es erfasst.« Phin legte die Füße auf das Verandageländer und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Das wachsame Auge des Gesetzes bei der Arbeit.«
»Clea ist also hergekommen, um einen Film zu drehen.« Wes sah geradezu begeistert aus, bevor die Realität Oberhand gewann. »Warum?«
»Gute Frage. Die sollte sich Stephen gelegentlich mal stellen.«
»Kann er nicht. Das würde die Sprünge behindern, die er macht, um zu seinen Schlussfolgerungen zu kommen.« Stirnrunzelnd blickte Wes auf die Straße. »Weißt du, ich habe mit dem Gedanken gespielt, einfach die Versicherungsleute den Unfall regeln zu lassen, aber jetzt denke ich, es wäre besser, wenn ich dort rausfahre und mich vergewissere, dass alles seine Ordnung hat.«
»Um Clea leibhaftig zu überprüfen.«
»Meine Bürgerpflicht.«
»Von den liederlichen Frauen ganz zu schweigen.«
»Klar, die auch.« Wes stand auf und warf einen Blick auf seine Uhr. »Es ist jetzt fünf. Machst du zu und kommst mit?«
»Oh, ja«, antwortete Phin. »Ist schließlich auch meine Bürgerpflicht. Pool können wir später immer noch spielen.«
»Wir opfern uns für unsere Pflichten auf«, stellte Wes fest.
»Ich will nur noch mal einen Blick auf Clea werfen«, sagte Phin.
Sophie packte die Vorräte aus, die sie mitgebracht hatten, und brachte ein wenig Ordnung in die angeschmutzte Küche, wobei sie die wahrhaft schauerliche Kirschentapete an der Wand ignorierte und Clea die ganze Zeit auf sie einredete und keinen Finger rührte. »Frank wird jeden Augenblick hier sein«, verkündete sie und klang nahezu
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