Die Nebel von Avalon
mißtrauisch die Stirn. »Meine Mutter hat mir gesagt, daß die Herrin vom See eine böse Zauberin war.«
»Deine Mutter ist…«, Morgaine brach ab. Er war schließlich nur ein Kind. »Deine Mutter kannte die Herrin nicht so gut wie ich. Sie war eine gute und weise Frau und eine große Priesterin.«
»Ach?« Sie sah, wie Galahad sich mit dieser Erklärung auseinandersetzte. »Vater Griffin sagt, nur Männer können Priester sein, weil Männer nach dem Bild Gottes geschaffen sind und Frauen nicht. Nimue sagte, sie will später Priesterin werden, lesen und schreiben und Harfe spielen lernen. Aber Vater Griffin sagte ihr, keiner Frau sei so etwas erlaubt.«
»Dann irrt Vater Griffin«, erwiderte Morgaine. »Denn ich kann all das und noch mehr.«
»Das glaube ich nicht«, entgegnete Galahad und musterte sie feindselig. »Du glaubst, jeder irrt, nur du nicht? Meine Mutter sagt, daß die Kleinen den Erwachsenen nicht widersprechen sollen. Und du siehst aus, als seist du nicht viel älter als ich. Viel größer bist du jedenfalls nicht.«
Morgaine mußte über das zornige Kerlchen lachen und sagte: »Ich bin zwar nicht sehr groß, aber trotzdem älter als deine Mutter und dein Vater, Galahad.«
Morgaine hörte ein Geräusch an der Tür, und Elaine betrat die Halle. Sie war weicher geworden, ihr Körper hatte sich gerundet, und ihre Brüste waren nicht mehr so fest – schließlich, so sagte sich Morgaine, hatte sie schon drei Kinder geboren und eines lag noch an ihrer Brust. Aber Elaine war noch immer eine hübsche Frau. Die goldenen Haare glänzten wie immer; sie umarmte Morgaine, als hätten sie sich erst gestern getrennt.
»Wie ich sehe, kennst du meinen braven Sohn schon«, sagte sie. »Nimue ist zur Strafe in ihre Kammer verbannt. Sie war ungezogen zu Vater Griffin… und Gwennie schläft… dem Himmel sei Dank… sie ist ein schwieriges Kind. Wegen ihr habe ich heute nacht kaum ein Auge zugemacht. Kommst du aus Camelot? Warum hat Lancelot dich nicht begleitet?«
»Ich bin gekommen, um dir zu sagen«, erklärte Morgaine, »daß Lancelot für eine Weile nicht zu euch zurückkommen wird. In der Bretagne herrscht Krieg. Sein Bruder Bors wird in seiner Burg belagert. Artus ist ihm mit all seinen Gefährten zu Hilfe geeilt; er will den Gallier, der sich zum Kaiser ausgerufen hat, von dort vertreiben.«
Elaines Augen füllten sich mit Tränen. Aber der kleine Galahad wurde ganz aufgeregt. »Wenn ich älter wäre«, erklärte er, »würde mich mein Vater zum Ritter machen. Dann wäre ich einer der Gefährten des
Königs. Ich würde mit ihnen reiten und gegen diese Sachsen kämpfen… und auch gegen jeden Kaiser!«
Elaine ließ sich von Morgaine alles berichten und sagte: »Dieser Lucius scheint ein Verrückter zu sein.«
»Verrückt oder nicht, er hat ein Heer und behauptet, im Namen Roms zu kämpfen«, erwiderte Morgaine. »Lancelot schickt mich zu dir und bittet, deine Kinder zu küssen… obwohl ich denke, dieser Knabe ist zu erwachsen, um sich wie ein Kind küssen zu lassen«, sprach sie lächelnd weiter und blickte Galahad an. »Mein Stiefsohn Uwain behauptete das, als er etwa so groß war wie du. Und vor ein paar Tagen wurde er zum Ritter geschlagen.«
»Wie alt ist er?« erkundigte sich Galahad. Morgaine erwiderte, »fünfzehn«, und er zählte mit finsterer Miene die Jahre an seinen Fingern ab.
Elaine fragte: »Wie geht es meinem lieben Gemahl? Galahad, geh zu deinem Lehrer. Ich möchte mich mit meiner Base unterhalten.«
Als der Kleine hinausrannte, sagte sie: »Vor Pfingsten hatte ich mehr Zeit mit Lancelot zu sprechen, als in allen Jahren unserer Ehe zusammengenommen. Es war das erste Mal, daß wir länger als eine Woche beisammen waren!«
»Wenigstens hat er dich diesmal nicht wieder schwanger zurückgelassen «, sagte Morgaine.
»Nein«, nickte Elaine. »Er war sehr rücksichtsvoll und blieb in den letzten Wochen, in denen wir auf Gwens Geburt warteten, meinem Bett fern… er sagte, ich sei zu dick, und es würde mir kein Vergnügen mehr machen. Ich hätte mich ihm nicht verweigert. Aber um die Wahrheit zu sagen, ich glaube, ihm lag überhaupt nichts daran… und nun weißt du es, Morgaine.«
»Du vergißt«, erwiderte Morgaine mit einem bitteren, dünnen Lächeln, »ich kenne Lancelot ein ganzes Leben lang.«
»Sag mir«, bat Elaine, »ich habe einmal geschworen, dich nie zu fragen… war Lancelot je dein Liebhaber? Hast du je bei ihm gelegen?«
Morgaine blickte in ihr gequältes Gesicht und
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