Die Nebel von Avalon
erfahren?«
»Das würdest du wirklich tun?« Elaine war bleich vor Entsetzen.
»Laß es nur darauf ankommen«, entgegnete Morgaine kalt. »Ich weiß nicht, wie Christen einen Schwur bewerten. Aber ich versichere dir, alle, die die Götter anbeten, nehmen ihn sehr ernst. Und so habe ich damals deinen Schwur entgegengenommen. Ich habe gewartet, bis du eine zweite Tochter hast. Aber du hast mir Nimue versprochen.«
»Aber… aber was soll aus ihr werden? Sie ist ein Christenkind… wie kann ich sie ihrer Mutter entreißen und in… eine Welt voll heidnischer Zauberei stoßen… ?«
»Immerhin«, sagte Morgaine sanft, »bin ich Nimues Tante. Wie lange kennst du mich schon, Elaine? Habe ich je so ehrlos und schlecht gehandelt, daß zu zögern müßtest, mir deine Tochter anzuvertrauen? Ich will sie schließlich nicht haben, um Drachen damit zu füttern. Die Zeit ist lange, schon lange vorbei, als auf dem Altar Menschen geopfert wurden. Selbst damals handelte es sich nur um Verbrecher.«
»Was wird in Avalon mit ihr geschehen?« fragte Elaine so ängstlich, daß Morgaine überlegte, ob Elaine tatsächlich solche Gedanken hegte.
»Sie wird zur Priesterin ausgebildet und alles Wissen von Avalon erlernen. Eines Tages wird sie in den Sternen lesen und die weisen Gesetze der Welt und des Himmels kennen.« Morgaine lächelte. »Galahad hat mir erzählt, Nimue will lesen, schreiben und Harfe spielen lernen… in Avalon wird es ihr niemand mehr verbieten. Sie wird ein weniger hartes Leben führen als in einer Klosterschule. Bestimmt wird sie bei uns weniger fasten und büßen müssen, ehe sie erwachsen ist.«
»Aber… aber was soll ich Lancelot sagen?« Elaine schien sich langsam mit dem Gedanken anzufreunden.
»Was du willst«, erwiderte Morgaine. »Am besten sagst du ihm, daß du sie nach Avalon geschickt hast, damit sie dort erzogen und einmal den leeren Platz der Herrin einnehmen wird. Aber ich verüble es dir nicht, wenn du ihn belügst… du könntest ihm sagen, sie sei im See ertrunken oder der Geist von Pellinores Drachen habe sie geholt.«
»Und was ist mit dem Priester? Wenn Vater Griffin erfährt, daß ich meine Tochter zu den Heiden geschickt habe, damit sie dort eine Zauberin wird…«
»Was du ihm erzählst, kümmert mich noch weniger… wie wäre es, wenn du ihm sagst, daß du deine Seele verpfändet und mir deine erste Tochter versprochen hast, damit ich dir durch meine Zauberei einen Gemahl verschaffe… nein? Das habe ich mir gedacht.«
»Du bist so hart, Morgaine«, klagte Elaine, und Tränen rannen ihr über das Gesicht. »Kannst du mir wenigstens nicht noch ein paar Tage geben, um sie auf den Abschied vorzubereiten, um alles zu packen, was Nimue benötigt…«
»Deine Tochter braucht nicht viel«, erwiderte Morgaine. »Ein Untergewand zum Wechseln vielleicht und etwas Warmes zum Anziehen, damit sie beim Reiten nicht friert. Einen dicken Mantel und kräftige Schuhe… mehr nicht. In Avalon wird sie eingekleidet. Glaube mir«, fügte Morgaine freundlich hinzu, »als Enkeltochter der größten aller Priesterinnen wird man sie mit Liebe und Ehrerbietung behandeln … und man wird… wie sagen deine Priester doch… den Wind besänftigen, damit dem geschorenen Lamm kein Leid geschieht. Man wird ihr keine Härten zumuten, bis sie alt genug ist, um sie zu ertragen. Ich glaube, Nimue wird dort glücklich sein.«
»Glücklich? An einem Ort der schlimmsten Zauberei?«
Als Morgaine antwortete, traf die Aufrichtigkeit ihrer Worte Elaine ins Herz. »Ich schwöre dir… ich war glücklich in Avalon. Seit ich es verlassen habe, sehne ich mich jeden Tag von früh bis spät danach, dorthin zurückzukehren. Hast du von mir je eine Lüge gehört? Komm… ich will das Kind sehen.«
»Ich habe ihr befohlen, in ihrer Kammer zu bleiben und bis zum Sonnenuntergang zu spinnen. Sie war ungezogen zu Vater Griffin. Und dafür hat sie ihre Strafe«, erklärte Elaine.
»Ich hebe die Strafe auf«, sagte Morgaine. »Jetzt bin ich ihre Hüterin und Ziehmutter. Es gibt keinen Grund mehr, diesem Priester Gehorsam zu zeigen. Bring mich zu Nimue.«
Bei Tagesanbruch ritten sie davon. Nimue hatte beim Abschied von ihrer Mutter geweint. Aber es dauerte noch keine Stunde, bis sie unter der Kapuze ihres Mantels Morgaine neugierige Blicke zuwarf. Sie war für ihr Alter groß. Darin ähnelte sie weniger Viviane, Lancelots Mutter, als Morgause oder Igraine. Sie hatte helle Haare; in das Gold mischte sich Kupfer; Morgaine dachte, sie
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