Die Nebel von Avalon
würden später rot werden. Ihre Augen waren so blau wie die Veilchen, die am Bach wuchsen.
Man hatte vor dem Aufbruch nur etwas Wein und Wasser getrunken. Morgaine erkundigte sich: »Bist du hungrig, Nimue? Wenn du möchtest, können wir auf der nächsten Lichtung haltmachen und etwas zu uns nehmen.«
»Ja, Tante.«
»Sehr schön.« Bald stieg sie ab und hob das Mädchen von seinem Pony.
»Ich muß…«, Nimue senkte verlegen die Augen. »Wenn du Wasser lassen mußt, geh mit der Dienerin hinter einen Baum«, erklärte Morgaine, »und schäme dich nie wieder über etwas zu sprechen, das Gott so gewollt hat.«
»Vater Griffin sagt, es sei unschicklich…«
»Und sprich nie mehr über etwas, das Vater Griffin zu dir gesagt hat.« Morgaines Stimme klang freundlich, aber hinter den sanften Worten spürte man die eiserne Härte. »Diese Zeiten sind vorbei, Nimue.«
Als das Kind zurückkam, sagte es mit großen Augen: »Ich habe gesehen, wie jemand Kleines hinter einem Baum hervorspähte. Galahad hat gesagt, man nennt dich Morgaine, die Fee… war es eine Fee, Tante?«
Morgaine schüttelte den Kopf. »Nein, es war jemand vom Alten Volk aus den Hügeln. Sie sind so wirklich wie du und ich. Es ist besser, man spricht nicht über sie und beachtet sie auch nicht. Sie sind sehr scheu und fürchten die Menschen aus den Dörfern und Höfen.«
»Wo leben sie?«
»In den Hügeln und in den Wäldern«, erwiderte Morgaine. »Sie ertragen nicht den Anblick der Erde, ihrer Mutter, die vom Pflug geschändet und gezwungen wird, fruchtbar zu sein. Deshalb leben sie nicht in Dörfern.«
»Was essen sie denn, Tante, wenn sie nicht pflügen und ernten?«
»Nur Dinge, die die Erde ihnen aus freien Stücken schenkt«, erwiderte Morgaine. »Wurzeln, Beeren und Kräuter, Früchte und Samen… Fleisch nur an den Großen Festen. Ich habe dir gesagt, es ist besser, nicht über sie zu sprechen. Aber du kannst am Rand der Lichtung Brot für sie zurücklassen, denn wir haben genug.«
Sie brach ein Stück von dem Brotlaib ab und sah zu, wie Nimue ihn zum Waldrand trug. Elaine hatte ihnen genug Verpflegung für einen Zehntageritt mitgegeben und nicht für die kurze Reise nach Avalon. Morgaine aß wenig, ließ aber das Mädchen soviel essen, wie es wollte. Sie bestrich Nimues Brot selbst mit Honig. Die Ausbildung würde noch lange genug dauern. Schließlich wuchs sie auch noch sehr schnell.
»Du ißt kein Fleisch, Tante«, sagte Nimue. »Ist heute ein Fastentag?« Morgaine erinnerte sich plötzlich daran, wie sie Viviane ausgefragt hatte. »Nein, ich esse aber nicht oft Fleisch.«
»Magst du es nicht? Mir schmeckt es.«
»Nun, dann iß, wenn du möchtest. Bei den Priesterinnen gibt es nicht oft Fleisch. Aber es ist nicht verboten… ganz sicher nicht einem Kind in deinem Alter.«
»Sind sie wie die Nonnen? Müssen sie immer fasten? Vater Griffin sagt…« Ihr fiel wieder ein, daß sie nicht mehr an den Priester denken sollte. Morgaine bemerkte es mit Genugtuung. Das Mädchen lernte schnell.
Sie sagte: »Ich meine, du sollst dich nicht nach dem richten, was der Priester gesagt hat, aber du kannst es mir sagen. Eines Tages wirst du selbst lernen, was richtig ist an dem, was er sagt und was albern… oder noch schlimmer ist.«
»Vater Griffin sagt, Männer und Frauen müssen für ihre Sünden fasten. Stimmt das?«
Morgaine schüttelte den Kopf. »Die Menschen in Avalon fasten manchmal, um ihrem Körper Gehorsam zu lehren. Er soll lernen zu tun, was man von ihm verlangt und keine Forderungen stellen, die schwierig zu erfüllen sind… es gibt Zeiten, in denen man ohne Nahrung, ohne Wasser oder ohne Schlaf auskommen muß. Der Körper muß dem Geist dienen… nicht umgekehrt. Man kann den Geist nicht auf heilige Dinge richten oder auf Weisheit oder für die Lange Meditation zur Ruhe bringen, die dem Geist andere Bereiche öffnet, wenn der Körper verlangt: ›Füttere mich!‹, oder: ›Ich bin durstig!‹ Deshalb lernen wir, sein Aufbegehren zurückzuweisen. Verstehst du das?«
»N… nicht ganz«, erwiderte Nimue unsicher. »Dann wirst du es verstehen, wenn du älter bist. Jetzt iß dein Brot, damit wir weiterreiten können.«
Nimue aß das letzte Brot mit Honig und wischte sich die Hände ordentlich an einem Grasbüschel ab. »Ich habe Vater Griffin auch nie verstanden. Er wurde immer wütend darüber. Als ich ihn fragte, warum wir fasten und für die Vergebung unserer Sünden beten müssen, obwohl Christus sie bereits alle verziehen
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