Die Nebel von Avalon
Leben an das Geschick dieses Landes gebunden. Sie kamen hierher, als der alte Tempel versank.
Und jetzt waren die Mysterien wieder in Gefahr; diesmal durch die Barbaren und die Wilden Männer aus dem Norden, die sie bedrohten. Deshalb waren sie und er zurückgekommen; und es war Igraines Bestimmung, einen der großen Helden zu gebären, die, wie man sagte, ins Leben zurückkehrten, wenn sie gebraucht wurden. Sie würde dem König das Leben schenken, der war und ist, und der wiederkommen wird, um sein Volk zu erretten… selbst die Christen glaubten ähnliches. Sie sagten, auch der Mutter ihres Christus wurde einst prophezeit, sie würde einen König gebären. Igraine lächelte in die Dunkelheit und dachte an das Schicksal, das sie wieder mit dem Mann vereinte, den sie vor so vielen Jahrhunderten geliebt hatte… Und Gorlois? Was hatte Gorlois mit diesem Schicksal zu tun; er bereitete sie nur darauf vor. Sie wäre sonst zu jung gewesen, um zu begreifen, was mit ihr geschah.
In diesem Leben bin ich keine Priesterin. Doch ich weiß, ich bin noch immer das gehorsame Kind meines Schicksals, wie jeder Mann und jede Frau es zu sein haben. Und für die Priester und die Priesterinnen gibt es das Band der Ehe nicht. Sie überantworten sich dem Willen der Götter, wie es ihre heilige Pflicht ist. Doch sie bereiten jenen den Weg, die das Schicksal der Menschheit zu wenden vermögen.
Igraine dachte an das große Sternbild im Norden, das man das Rad nannte. Die Bauern sprachen vom Wagen oder vom Großen Bären, der auf ewig um den nördlichsten Stern kreiste. Igraine wußte, mit seinem Kommen und Gehen war es ein Sinnbild für das endlose Rad von Geburt, Tod und Wiedergeburt. Der Riese schritt über den Himmel, und an seiner Seite hing das Schwert… einen Augenblick lang glaubte Igraine den Helden zu sehen, der mit einem großen Schwert in der Hand, dem Schwert des Siegers, kommen sollte. Die Priester der Heiligen Insel würden sicherstellen, daß er ein Schwert bekam – das legendäre, sagenhafte Schwert!
Gorlois regte sich neben ihr und griff nach Igraine. Ergeben ließ sie sich von ihm umarmen. Ihre Abneigung hatte sich in Zärtlichkeit und Mitleid verwandelt. Sie fürchtete auch nicht mehr, daß sie ein ungewolltes Kind von ihm empfangen würde. Ihr Schicksal forderte etwas anderes von ihr. Armer, zum Tode verurteilter Mann! Er hatte keinen Anteil an diesem Mysterium. Er gehörte zu den Einmalgeborenen, und wenn nicht, fehlte Gorlois die Erinnerung. Igraine war froh, daß ihm der Trost seines einfachen Glaubens blieb. Am Morgen, beim Aufstehen, hörte sie sich singen, und Gorlois sah sie forschend an.
»Mir scheint, Ihr seid wieder gesund«, bemerkte er lächelnd.
»O ja«, antwortete sie, »ich habe mich nie besser gefühlt.«
»Dann hat die Medizin des Merlin Wunder gewirkt«, murmelte Gorlois. Igraine lächelte und schwieg.
5
Einige Tage lang schien man in der Stadt von nichts anderem zu reden, als daß Lot von Orkney abgezogen und in den Norden zu rückgekehrt sei, und man befürchtete, dies würde die endgültige Königswahl verzögern. Aber bereits drei Tage später kam Gorlois ins Haus zurück – Igraine nähte gerade die letzten Stiche an einem neuen Gewand aus dem Wolltuch, das sie auf dem Markt erstanden hatte – und sagte, die Ratgeber des Ambrosius hätten Uther Pendragon zum Großkönig gewählt und damit den Wunsch des Verstorbenen erfüllt.
»Aber was ist mit dem Norden?« fragte Igraine. »Uther wird Lot zur Vernunft bringen, oder ihm den Kampf ansagen«, antwortete Gorlois. »Ich mag Uther nicht, aber er ist unser bester Kämpfer. Ich fürchte Lot nicht, und ich bin sicher, Uther ebenso wenig.«
Igraine spürte die vertraute Unruhe, die eine Vision ankündigte, und wußte, Lot würde in den kommenden Jahren eine große Rolle spielen… aber sie schwieg. Gorlois hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, daß er nichts davon hielt, wenn sie über die Angelegenheiten von Männern sprach. Sie wollte in der kurzen Zeit, die dem todgeweihten Mann noch blieb, nicht mit ihm streiten.
»Ich sehe, dein neues Gewand ist fertig. Du kannst es tragen, wenn Uther in der Kirche zum Großkönig gekrönt wird. Danach wird er alle seine Gefolgsleute und ihre Gemahlinnen bei Hofe empfangen, ehe er in den Westen zieht, um sich dort zum König machen zu lassen«, sagte Gorlois. »Nach seinem Banner trägt er den Namen Pendragon, der Größte Drachen. Und nach ihrem Aberglauben an Drachen und Könige halten sie ein
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