Die Nebel von Avalon
Igraine war verwirrt.
Nein, dies war eine andere Welt und ein anderes Leben.
Und doch schien sie sich mit Leib und Seele nach dem geträumten Kuß zu verzehren. Schnell schlug sie die Hände vor das Gesicht und weinte. Er starrte sie verzagt und hilflos an und trat einen Schritt zurück.
»Igraine«, flüsterte Uther, »was können wir tun?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete sie schluchzend, »ich weiß es nicht.« Und ihre Sicherheit verwandelte sich in grausame Verwirrung. War dieser Traum ihr nur geschickt worden, um sie zu verhexen? Ging es nur darum, Gorlois zu betrügen, sie zu entehren und ihren ehelichen Treueschwur zu brechen?
Plötzlich spürte sich Igraine grob an der Schulter gepackt. Gorlois sah sie zornig und argwöhnisch an.
»Was ist das für ein ungebührliches Benehmen, meine Gemahlin? Was habt Ihr gesagt, mein König, daß meine Frau so verstört ist? Ich weiß, Ihr seid ein Mann, der vor nichts zurückschreckt. Aber soviel Anstand solltet Ihr wenigstens wahren, am Tag Eurer Krönung nicht die Gemahlin eines Eurer Vasallen zu verführen!«
Igraine blickte wütend zu ihm auf: »Gorlois, das habe ich nicht von Euch verdient! Was habe ich Euch getan, daß Ihr mich vor aller Augen derart beschuldigt?« Denn inzwischen drehten sich die Gäste neugierig nach ihnen um.
»Warum weint Ihr dann, Herrin, wenn König Uther nichts Unschickliches zu Euch sagte?« Er packte Igraine am Handgelenk, und sie glaubte, er würde es zermalmen.
»Was das angeht«, sagte Uther, »so müßt Ihr die Dame fragen, weshalb sie weint. Ich weiß es nicht. Aber, laßt sie los, oder ich werde Euch dazu zwingen. Gemahl oder nicht, in meinem Haus wird niemand eine Frau mißhandeln.«
Gorlois ließ Igraine los. Die roten Spuren seiner Finger färbten sich bereits dunkel. Sie rieb sich das Handgelenk, und die Tränen strömten über ihr Gesicht. Unter den Augen der vielen Menschen fühlte sie sich tief beschämt, geradezu entehrt. Sie verbarg ihr Gesicht hinter dem Schleier und weinte noch heftiger. Gorlois stieß seine Frau vor sich her, dem Ausgang zu. Sie hörte nicht, was er zu Uther sagte; erst als sie auf der Straße standen, sah sie ihn fassungslos an.
Gorlois erklärte wutschnaubend: »Ich will Euch nicht vor allen Männern beschuldigen, Igraine. Aber Gott ist mein Zeuge, ich hätte jedes Recht dazu. Uther verschlang Euch geradezu mit den Augen. Nur ein Mann, der eine Frau auf eine Weise kennt, wie ein Christ sie nur als seine Ehefrau kennen darf, kann sie so ansehen!«
Igraine spürte ihr klopfendes Herz und wußte, er sprach die Wahrheit. Sie war verwirrt und verzweifelt zugleich. Obwohl sie Uther erst viermal gesehen und zweimal von ihm geträumt hatte, wußte sie, daß sie sich angesehen und miteinander gesprochen hatten, als seien sie schon seit vielen Jahren Verliebte, als wüßten sie alles und mehr als alles voneinander, als seien ihnen Körper, Herz und Gedanken des anderen nah und vertraut. Sie erinnerte sich an den Traum, in dem sie seit vielen, vielen Jahren einander verbunden zu sein schienen – und wenn nicht durch das Band der Ehe, es hätte doch so sein können.
Liebende, Vertraute – Priester und Priesterin, es zählte nicht, wie man es nannte. Wie sollte sie Gorlois erklären, daß sie Uther nur aus ihren Träumen kannte? Jetzt sah sie in Uther den Mann, den sie schon vor langer Zeit geliebt hatte; doch damals war sie als Igraine noch nicht geboren… Igraine war früher ein Schatten gewesen; nur das Wesen in ihr war ein und dieselbe Frau, die diesen fremden Mann geliebt hatte, der die goldenen Schlangen an seinen Armen trug… Wie nur sollte sie das Gorlois erklären, der nichts über die Mysterien wußte und auch nicht das geringste darüber wissen wollte?
Er stieß sie weiter vor sich her, bis sie ihre Unterkunft erreichten. Sie wußte, ein Wort von ihr, und er hätte sie geschlagen. Aber ihr Schweigen reizte Gorlois noch mehr. Er schrie sie an: »Habt Ihr mir nichts zu sagen, meine Gemahlin?« Er packte sie wieder so heftig an dem bereits schwellenden Armgelenk, daß Igraine vor Schmerzen aufschrie. »Glaubt ja nicht, ich hätte nicht gesehen, welche Blicke Ihr Eurem Verehrer zugeworfen habt!«
Mühsam entwand sie sich seinem Griff, denn sie glaubte, er würde ihr den Arm ausreißen. »Wenn Euch das nicht entgangen ist, dann habt Ihr auch gesehen, daß ich mich abwandte, als König Uther nichts weiter als einen Kuß von mir wollte! Und habt Ihr denn nicht gehört, wie er sagte, Ihr wärt
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