Die Nebel von Avalon
konnte… Morgaine wusch sich den
Staub der Reise von ihrem müden Körper, hüllte sich in ein langes Gewand aus ungefärbter Wolle, das auf dem Bett bereitlag, und aß etwas von den Speisen, die man brachte. Aber den heißen gewürzten Wein rührte sie nicht an. Beim Feuer stand ein irdener Krug mit Wasser, und mit Tränen in den Augen trank sie eine Kelle voll.
Die Priesterinnen von Avalon trinken nur das Wasser der Heiligen Quelle
… Sie war wieder die junge Morgaine und schlief in ihren eigenen vier Wänden.
Morgaine wußte nicht, wodurch sie erwachte. Sie hörte einen Schritt, dann war wieder alles still. Aber im letzten Schimmer des ersterbenden Feuers und im sanften Mondlicht, das durch die Läden drang, sah sie eine verschleierte Gestalt. Zuerst glaubte sie, Niniane sei gekommen, um mit ihr zu sprechen. Aber sie sah lange, dunkle fließende Haare und ein schönes, dunkles abgeklärtes Gesicht. An einer Hand bemerkte sie eine alte Narbe… Raven! Sie richtete sich auf und fragte: »Raven! Bist du es?« In der vertrauten Geste des Schweigens legte Raven den Finger auf die Lippen. Sie trat zu Morgaine, beugte sich über sie und küßte sie.
Wortlos warf sie den langen Umhang ab, legte sich neben Morgaine und nahm sie in die Arme. Im schwachen Licht sah Morgaine die Narbe, die sich über den ganzen Arm bis zu der blassen, schweren Brust zog… Im Schweigen, das sie umgab, schienen die wirkliche Welt und Avalon versunken zu sein. Morgaine befand sich wieder im Schattenreich der Feen und lag in den Armen der Herrin… Sie hörte in ihrem Innern die Worte des alten Segens von Avalon, als Raven sie langsam in rituellem Schweigen und bedeutungsvoll berührte. Die Worte schienen die Stille zu durchdringen.
Gesegnet seien die Füße, die dich hierhergetragen haben… Gesegnet seien die Knie, die sich vor ihrem Altar beugen werden… Gesegnet sei die Pforte des Lebens …
Und dann begann die Welt zu fließen, sich zu verändern und sich zu bewegen. Einen Augenblick lang sah sie in der Stille nicht Raven, sondern eine lichtumflutete Gestalt, die sie vor Jahren schon einmal gesehen hatte. Damals durchquerte sie das große Schweigen… Morgaine wußte, daß auch sie in Licht getaucht war… das tiefe, fließende Schweigen umhüllte sie noch immer. Dann war es wieder nur Raven. Sie schmiegte sich an sie, und ihre Haare dufteten nach den Kräutern, die man bei den Ritualen benutzte. Einen Arm hatte sie um Morgaine geschlungen, und ihre schweigenden Lippen berührten sanft Morgaines Wange. Morgaine sah lange weiße Strähnen in ihrem dunklen Haar.
Raven löste sich von ihr und richtete sich halb auf. Stumm zog sie einen silbernen Halbmond hervor, den rituellen Schmuck der Priesterin.
Morgaine hielt den Atem an. Sie wußte, diesen Halbmond hatte sie auf ihrem Bett im Haus der Jungfrauen zurückgelassen, als sie mit Artus' Sohn im Leib aus Avalon geflohen war… Sie wehrte sich nur schwach, als Raven ihn ihr um den Hals legte. Dann deutete Raven mit einer kurzen Bewegung auf das Sichelmesser an ihrer Hüfte, und Morgaine nickte. Sie wußte, Vivianes Messer würde sie nicht mehr verlassen, solange sie lebte, und sie war zufrieden, daß Raven ihr Messer trug, bis eines Tages Nimue es bei der Priesterweihe erhielt.
Raven griff nach dem kleinen scharfen Messer, und Morgaine sah regungslos wie im Traum, daß sie es hob. So
sei es! Soll sie mein Blut hier vor der Göttin vergießen, weil ich versuchte zu fliehen…
Aber Raven richtete das Messer auf ihre eigene Kehle, und ein einziger Tropfen Blut entquoll ihr. Morgaine senkte den Kopf, nahm das Messer und ritzte die Haut über ihrem Herzen.
Wir sind alt, Raven und ich. Unser Blut fließt nicht mehr aus dem Leib, sondern nur noch aus dem Herzen …
Morgaine überlegte, was sie damit sagen wollte. Raven beugte sich über den kleinen Einschnitt und leckte das Blut, dann beugte sich Morgaine vor und berührte mit den Lippen den Blutstropfen auf Ravens Brust. Sie wußte, dadurch wurde ein Band besiegelt, das heiliger war als alle Schwüre, die sie in ihrem Leben geleistet hatte. Dann zog Raven sie wieder in die Arme.
Ich schenkte dem Gehörnten meine Jungfräulichkeit. Ich gebar dem Gott ein Kind. Ich glühte vor Leidenschaft nach Lancelot, und auf dem gepflügten Feld, das die Frühlingsjungfer gesegnet hatte, machte Accolon mich wieder zur Priesterin. Aber ich habe nie erfahren, was es heißt, einfach geliebt zu werden.. .
Halb träumend, halb wachend glaubte Morgaine, im
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