Die Nebel von Avalon
leer, daß er gar nicht wisse, was er den Gästen vorsetzen solle.
»Nun, dann muß Avalloch heute auf die Jagd«, erklärte Morgaine. Sie hielt Maline auf der Treppe an, die gerade ihrem Gemahl den morgendlichen Becher heißen Weins hinaufbrachte. Maline sagte: »Ich habe gesehen, wie Ihr mit Avalloch gesprochen habt… was hatte er Euch zu sagen?« Sie wirkte unfreundlich.
Morgaine las ihre Gedanken. Bei einer so dummen Frau wie Maline war das nicht schwer. Morgaine begriff, daß ihre Schwiegertochter sie fürchtete und ablehnte. Sie hielt es für ungerecht, daß Morgaine noch immer einen schlanken und straffen Körper hatte, während sie, Maline, vom Kinderkriegen schwerfällig und schlaff geworden war. Außerdem besaß Morgaine diese glänzenden dunklen Haare. Maline mußte sich immer mit den Kindern beschäftigen und fand keine Zeit, ihr Haar zu bürsten und zu flechten…
Morgaine antwortete wahrheitsgemäß, aber auch vom Wunsch getrieben, die Gefühle ihrer Schwiegertochter zu schonen. »Wir sprachen von Accolon und Uwain. Aber die Vorratskammern sind beinahe leer. Avalloch muß heute auf Wildschweinjagd gehen.«
Und plötzlich sah sie deutlich vor sich, was sie tun mußte. Einen Augenblick lang stand sie wie betäubt neben Maline und hörte Ninianes Worte:
Accolon muß nach seinem Vater den Thron besteigen…
Maline starrte sie an und wartete darauf, daß Morgaine weitersprach.
Morgaine erklärte geistesgegenwärtig: »Sage ihm, er muß heute auf die Wildschweinjagd, wenn er kann… Spätestens aber morgen, oder wir verbrauchen unser Mehl zu schnell.«
»Ich werde es ihm sagen, Mutter«, erwiderte Maline. »Er ist über jeden Grund froh, die Burg zu verlassen.«
Und trotz des Vorwurfs, der in Malines Stimme mitschwang, wußte Morgaine, die jüngere Frau war erleichtert.
Arme Frau, mit einem solchen Schwein verheiratet zu sein!
Beunruhigt dachte sie wieder an Avallochs Worte.
An dem Tag, an dem ich König in diesem Land bin, gibt es keine Gnade mehr für alle, die nur noch leben, weil mein Vater nicht vergessen kann, daß er einmal die Schlangen trug.
Ihre Aufgabe bestand also darin, dafür zu sorgen, daß Accolon König wurde… nicht um ihretwillen oder aus Rache, sondern zum Schutz des Alten Glaubens, den sie und Accolon dem Land zurückgegeben hatten.
Es braucht nicht lange, um Accolon alles zu berichten. Er wird mit Avalloch auf die Jagd gehen, und damit sind alle Schwierigkeiten beseitigt.
Nüchtern überlegte sie:
Soll ich meine Hände nicht damit beschmutzen und alles Accolon überlassen?
Uriens war alt. Er konnte noch ein Jahr oder noch fünf Jahre leben. Da Avalloch jetzt alles wußte, würde er sich mit Vater Eian zusammentun, um Accolons und ihren eigenen Einfluß zu untergraben. Und alles, was sie erreicht hatte, würde wieder zunichte gemacht.
Wenn Accolon König werden möchte, sollte er vielleicht selbst darum kämpfen. Wenn Avalloch vergiftet wird, sterbe ich als Zauberin.
Aber wenn ich es Accolon überlasse… dann gleicht es zu sehr der alten Ballade, in der es heißt: ›Zwei Brüder gingen auf die Jagd…‹ Soll ich es Accolon sagen und Avalloch seinem Zorn überlassen?
Immer noch unsicher ging Morgaine nachdenklich nach oben. Sie fand Accolon im Gemach seines Vaters. Beim Eintreten hörte sie ihn sagen: »Avalloch geht heute auf Wildschweinjagd… die Vorratskammern sind beinahe leer. Ich werde ihn begleiten. Es ist schon lange her, daß ich in diesen Hügeln gejagt habe…«
»Nein«, erklärte Morgaine entschlossen. »Bleibt heute bei Eurem Vater. Er wird Euch brauchen, und Avalloch hat genug Männer, die ihm helfen.«
Sie dachte:
Irgendwie muß ich ihm sagen, was ich vorhabe.
Aber sie verwarf den Gedanken. Wenn er ihre Pläne kannte – obwohl sie selbst noch nicht sicher war, wie sie ihre Aufgabe anpacken sollte –, würde er ihnen höchstens im ersten Zorn über Avallochs Verhalten zustimmen.
Und wenn er zustimmt – ich glaube, ich kenne ihn gut, aber mein Verlangen nach ihm kann mich auch täuschen, und vielleicht ist er weniger ehrenhaft als ich mir vorstelle –, wenn er ein Mann ist, der sich dazu bereit finden würde, wäre er ein Brudermörder. Dann steht er unter einem Fluch, und ich kann ihm bei unserer gemeinsamen Aufgabe nicht mehr vertrauen. Avalloch ist nur ein angeheirateter Verwandter, mich binden keine Blutsbande an ihn. Nur wenn ich Uriens einen Sohn geboren hätte, läge die Blutschuld auf mir.
Jetzt war Morgaine froh, daß sie keinen Sohn von Uriens
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