Die Nebel von Avalon
Glaubenseifer hat das verhindert, und so blieb es engstirnigen Frömmlern wie dem Patricius überlassen, die in ihrem Stolz den Schöpfer nur als den rächenden Vater von Soldaten sehen und nicht auch als die liebende Mutter der Felder und der Erde… Ich sage dir, Morgaine, die Christen sind eine Flut, die alle Menschen wie Strohhalme mit sich reißen werden.«
»Was geschehen ist, ist geschehen«, sagte Morgaine. »Aber was ist die Antwort?«
Kevin senkte den Kopf. Morgaine wußte plötzlich, eigentlich wollte er nur seinen Kopf an ihre Brust legen, nicht als Mann, der die Frau sucht, sondern die Große Mutter, die Göttin, die seine Ängste und Verzweiflung lindert.
»Vielleicht«, sagte er gequält, »vielleicht gibt es keine Antwort. Vielleicht gibt es keinen Gott und keine Göttin, und wir streiten uns über dumme Worte. Ich will mich nicht mit dir streiten, Morgaine von Avalon. Aber ich werde auch nicht tatenlos zusehen, wie du das Reich wieder in Kriege und Unruhen stürzt und den Frieden zerstörst, den Artus uns geschenkt hat. Etwas von dem Wissen, etwas von der Musik und etwas von der Schönheit muß für die Zeit bewahrt werden, wenn die Welt wieder in Dunkelheit versinkt. Ich sage dir, Morgaine, ich habe die Dunkelheit heraufziehen sehen. Vielleicht können wir in Avalon die geheime Weisheit bewahren… aber die Zeit ist vorüber, in der wir sie in der Welt verbreiten konnten. Glaubst du, ich fürchte mich davor zu sterben, wenn dadurch etwas von Avalon für die Menschheit bewahrt bleibt?«
Morgaine streckte langsam wie unter einem Zwang die Hand aus, um ihm die Tränen abzuwischen, zog sie aber, von plötzlichem Entsetzen gepackt, schnell wieder zurück. Vor ihren Augen verschwamm alles – sie hatte mit ihrer Hand einen weinenden Totenkopf berührt. Ihre Finger schienen die dünnen, eiskalten Finger der Todesbotin zu sein. Auch Kevin sah es. Er starrte sie entsetzt und erschrocken an. Dann verschwand das Bild, und Morgaine antwortete hart: »Also würdest du die Heiligen Dinge in die Welt bringen, damit das Heilige Schwert von Avalon zum rächenden Schwert von Christus wird?«
»Es ist das Schwert der Götter«, erwiderte Kevin. »Und alle Götter sind ein Gott. Mir wäre lieber, die Menschen könnten Excalibur folgen, als das es verborgen in Avalon liegt. Wenn sie ihm nur folgen… kommt es wirklich darauf an, welchen Gott sie dabei anrufen?«
Morgaine erwiderte ungerührt: »Um
das
zu verhindern, bin ich bereit zu sterben. Seht Euch vor, Merlin von Britannien. Ihr habt die Große Ehe geschlossen und Euer Leben für den Schutz der Mysterien verpfändet. Seht Euch vor, daß von Euch nicht verlangt wird, diesen Schwur einzulösen!«
Der Merlin sah sie mit seinen schönen Augen an. »Oh, meine Herrin und meine Göttin! Ich bitte Euch, holt Rat in Avalon, ehe Ihr handelt! Ich glaube, für Euch ist die Zeit gekommen, nach Avalon zurückzukehren.«
Kevin legte seine Hand auf ihre, und sie zog sie nicht zurück. Mit erstickter Stimme antwortete sie: »Ich… ich wünsche, ich könnte zurückkehren… ich sehne mich so sehr danach, daß ich nicht wage, es zu tun. Ich werde erst zurückkehren, wenn ich Avalon nie mehr verlassen muß…«
»Du
wirst
zurückkehren. Ich habe es gesehen«, sagte Kevin erschöpft. »Ich nicht. Ich weiß nicht, warum, Morgaine, meine Liebe, aber mir scheint, ich werde nie mehr aus der Heiligen Quelle trinken.«
Sie sah den häßlichen, verunstalteten Körper vor sich, die zarten Hände, die schonen Augen und dachte:
Ich habe diesen Mann einmal geliebt.
Trotz allem liebte sie ihn noch. Sie würde ihn lieben, bis sie beide tot waren. Sie kannte ihn seit Anbeginn der Zeiten. Sie hatten gemeinsam ihrer Göttin gedient. Die Zeit fiel von ihr ab. Sie schienen außerhalb der Zeit zu stehen. Sie gab ihm Leben. Sie fällte ihn als Baum. Er wuchs neu aus dem Samenkorn. Er starb durch ihren Willen. Sie wurde in seine Arme genommen und dem Leben wiedergegeben… das uralte Priesterdrama vollzog sich, ehe Druiden oder Christen die Welt betraten.
Und das würde er alles verraten?
»Wenn Artus seinen Schwur bricht, werde ich dann nicht von ihm das Opfer fordern?«
Kevin antwortete: »Die Göttin wird eines Tages auf ihre Weise mit ihm abrechnen. Aber Artus ist nach dem Willen der Göttin König von Britannien. Wagt Ihr, Euch dem Schicksal entgegenzustellen, das dieses Land regiert?«
»Ich tue, was die Göttin mir aufgetragen hat zu tun!«
»Die Göttin… oder Euer Wille, Euer Stolz
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