Die Nebel von Avalon
klagte Gwenhwyfar. Morgaine bewunderte rasch ihre feinen Stiche und erkundigte sich, wer das Bild entworfen habe.
»Ich«, erwiderte Gwenhwyfar zu Morgaines großer Überraschung. Sie hätte nie geglaubt, daß Artus' Frau Begabung dafür besaß. »Vater Patricius hat auch versprochen, mir zu zeigen, wie man Buchstaben in Rot und Gold malt«, fuhr die Königin fort. »Er sagt, für eine Frau sei ich sehr geschickt… ich hätte nie geglaubt, daß ich so etwas kann, Morgaine. Aber du hast die herrliche Scheide Excaliburs gemacht, die Artus trägt… er erzählte mir, daß du sie eigenhändig für ihn bestickt hast. Sie ist sehr schön.« Gwenhwyfar plapperte gedankenlos wie ein junges Mädchen weiter. »Wie oft habe ich ihm angeboten, eine neue Scheide für ihn zu sticken… Es schmerzte mich, daß ein christlicher König heidnische Symbole mit sich herumträgt. Aber er entgegnete, seine geliebte Schwester habe sie für ihn gemacht, und er würde sie nie ablegen. Und es ist wirklich eine schöne Arbeit… Hat man die Goldfäden dafür in Avalon gefertigt?«
»Unsere Goldschmiede sind sehr gut. Ihre Gold- und Silberarbeiten sind unübertroffen.« Die kreisende Spindel machte sie krank. Wie lange würde es dauern, ehe der Trank sie würgte? Morgaine fühlte sich in diesem stickigen Raum beengt. Was für ein Leben diese Frauen führten – ohne Licht und Luft! Spinnen, Weben, Nähen… tagaus, tagein, damit die Männer etwas anzuziehen hatten… Eine der Hofdamen war hochschwanger und nähte Kinderkleidchen… eine andere bestickte die Borte eines schweren Mantels für Vater, Bruder, Ehemann oder Sohn… und hier arbeitete Gwenhwyfar an dem feinen Altartuch – der Zeitvertreib einer Königin, die genügend Frauen hatte, die für sie spannen, webten oder nähten. Die Spindel kreiste und kreiste. Sie sank langsam zu Boden, und Morgaine zwirnte geschickt den Faden. Wann hatte sie das gelernt? Sie konnte sich nicht daran erinnern, daß es einmal eine Zeit gegeben hatte, als sie nicht einen glatten Faden spinnen konnte… zu ihren ersten Erinnerungen zählte das Bild von ihr und Morgause auf den Burgmauern von Tintagel. Sie spannen, und ihr Faden war schon damals gleichmäßiger als der ihrer zehn Jahre älteren Tante.
Das sagte sie Morgause, und die Ältere erwiderte lachend: »Du hast schon als siebenjähriges Mädchen besser gesponnen als ich!« Die Spindel kreiste und kreiste, sank langsam zu Boden, dann wand sie den Faden um den Rocken und zwirnte die nächste Handvoll Wolle… Sie spann den Faden, und so spann sie auch das Leben der Menschen – es war nicht verwunderlich, daß man sich die Göttin auch als eine spinnende Frau vorstellte…
Wenn ein Mensch auf die Welt kommt, spinnen wir Kinderkleidchen, und am Ende spinnen wir ihm das Leichentuch. Ohne uns wäre das Leben der Menschen wahrhaft nackt…
Im Feenreich hatte sie wie durch eine große Öffnung geblickt und Artus im Schlaf an der Seite einer Frau gesehen, die ihr sehr glich. Jetzt schien sich vor ihr wieder ein weiter Raum aufzutun. Die Spindel sank zu Boden, und sie drehte den Faden. Damit schien sie Artus' Gesicht zu spinnen, der mit dem Schwert in der Hand umherirrte… Jetzt fuhr er herum und sah Accolon mit Excalibur in der Hand… Ah, sie kämpften miteinander! Sie konnte ihre Gesichter nicht erkennen und verstand auch die Worte nicht, die sie sich entgegenschleuderten…
Wie verbissen sie miteinander kämpften… Morgaine erschien es merkwürdig, daß sie ihnen benommen zusah, während die Spindel kreiste, auf den Boden sank und wieder aufstieg… Wie merkwürdig, daß sie das Klirren der mächtigen Schwerter nicht hörte… Artus holte zu einem gewaltigen Streich aus, der Accolon sicher getötet hätte.
Aber Accolon wehrte ihn mit dem Schild ab und wurde nur am Bein getroffen… Aus der Wunde floß kein Blut, während Artus nach einem Schlag auf die Schulter zu bluten begann. Rotes Blut strömte über seinen Arm. Er wirkte überrascht und erschrocken. Mit einer Hand griff er schnell an seine Seite, um sich zu vergewissern, daß dort die Scheide hing… aber es war die falsche, die vor Morgaines Blicken verschwamm. Die beiden Männer kämpften in einer tödlichen Umklammerung. Ihre Schwerter hatten sich am Griff ineinander verhakt, und beide bemühten sich, mit der freien Hand einen Vorteil zu gewinnen… Accolon riß sich mit einer heftigen Bewegung los, und das Schwert in Artus' Hand – das falsche Schwert Excalibur, das durch Feenzauber in
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