Die Nebel von Avalon
und doch glaubte sie, den unwiderruflichen Schritt nicht tun zu können, das Ungeborene dem Tod zu überlassen.
An meinen Händen klebt bereits das Blut eines Mannes, den ich liebe.,. Oh, Göttin, warum stellst du mich so auf die Probe?
Die Göttin schien vor ihren Augen wie ein verschwommenes Bild im Nebel aufzutauchen. Jetzt glich sie der Feenkönigin, dann der ernsten und mitfühlenden Raven, plötzlich der großen Muttersau, die Avallochs Leben gefordert hatte…
Sie wird das Kind verschlingen, das ich gebäre…
Morgaine wußte, sie stand am Rand des hellen Wahnsinns.
Später. Ich werde später eine Entscheidung treffen. Jetzt habe ich die Pflicht, Uriens nach Camelot zurückzubringen.
Sie fragte sich, wie lange sie wohl im Feenreich gewesen waren. Nicht länger als einen Monat, vermutete sie. Das Kind würde sich sonst deutlicher bemerkbar machen… Sie hoffte, daß es nur ein paar Tage gewesen waren. Aber auch nicht zu wenige, sonst würde Gwenhwyfar sich wundern, daß sie so schnell wieder nach Camelot zurückkehrten. Und nicht zu viele, sonst war es zu spät, um zu tun, was sie tun mußte: Sie konnte das Kind nicht zur Welt bringen und am Leben bleiben. Sie erreichten Artus' Hof am späten Vormittag. Die Entfernung war wirklich nicht groß gewesen. Morgaine war erleichtert, daß sie Gwenhwyfar nicht begegnete. Als Cai sich nach Artus erkundigte, erzählte sie – und log diesmal ohne das geringste Zögern –, er sei in Tintagel aufgehalten worden.
Wenn ich töten kann, ist eine Lüge keine so große Sünde,
dachte sie gequält, denn irgendwie fühlte sie sich durch die Lüge vergiftet. Sie war eine Priesterin von Avalon, und es bedeute ihr viel, die Wahrheit zu sagen…
Morgaine brachte Uriens in sein Gemach. Der alte Mann wirkte jetzt erschöpft und völlig verwirrt.
Er ist zu alt, um noch länger zu herrschen. Avallochs Tod hat ihn schwerer getroffen, als ich dachte. Aber auch er kennt das Gesetz von Avalon… Was geschieht mit dem Hirschkönig, wenn der junge Hirsch herangewachsen ist?
»Ruht Euch aus, mein Gemahl«, sagte sie.
Aber Uriens erwiderte verdrießlich: »Ich sollte mich auf den Weg nach Wales machen. Accolon ist zu jung, um allein zu regieren. Mein Volk braucht mich.«
»Das hat noch einen Tag Zeit«, beschwichtigte sie ihn, »und morgen fühlt Ihr Euch schon wieder wohler.«
»Ich bin bereits zu lange weg«, nörgelte er. »Und weshalb sind wir nicht nach Tintagel geritten? Morgaine, ich kann mich nicht erinnern, weshalb wir dort wieder weggingen! Waren wir wirklich in einem Land, in dem die Sonne schien…?«
Sie antwortete: »Das müßt Ihr geträumt haben. Warum schlaft Ihr nicht ein wenig? Oder soll ich Euch etwas zu essen bringen lassen? Ich glaube, Ihr habt heute nicht gefrühstückt…«
Der Anblick und der Geruch der Speisen verursachten ihr Übelkeit. Morgaine wendete sich schnell ab und versuchte, es zu verbergen. Aber Uriens hatte es bemerkt. »Was habt Ihr, Morgaine?«
»Nichts«, erwiderte sie ärgerlich. »Eßt und ruht Euch aus!« Aber Uriens lächelte, griff nach ihrer Hand, zog sie neben sich auf das Bett und sagte: »Du vergißt, daß ich schon früher verheiratet war… Mir entgeht nicht, wenn eine Frau schwanger ist.«
Offensichtlich freute er sich. »Nach all diesen Jahren… Morgaine, du bist schwanger! Das ist ja wunderbar… ein Sohn wurde mir genommen, aber ich werde einen anderen haben… Sollen wir ihn Aval-loch nennen, wenn es ein Sohn ist, Liebes?«
Morgaine zuckte zusammen: »Ihr vergeßt, wie alt ich bin«, sagte sie mit versteinertem Gesicht. »Es ist sehr unwahrscheinlich, daß ich das Kind austrage. Ihr könnt in Eurem Alter nicht noch auf einen Sohn hoffen.«
»Aber wir werden gut für dich sorgen«, sagte Uriens eifrig. »Du mußt dich mit den Hebammen der Königin besprechen. Wenn der Ritt nach Wales zu einer Fehlgeburt führen könnte, mußt du hier bleiben, bis das Kind geboren ist.«
Sie wollte ihm entgegenschleudern:
Wieso glaubst du, es sei dein Kind, alter Mann? Accolon ist sein Vater…
Aber sie konnte sich einer plötzlichen Angst nicht erwehren, es sei vielleicht wirklich Uriens' Kind… Das schwächliche Kind eines alten Mannes oder eine Mißgeburt wie Kevin… Aber nein, sie hatte den Verstand verloren! Kevin war keine Mißgeburt. Er hatte Verletzungen erlitten… entstellende Brandwunden in seiner Kindheit. Deshalb war er so behindert. Uriens' Kind würde sicher ein gebrechliches, häßliches Wesen sein.
Accolons Sohn wäre
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