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Die Nebel von Avalon

Titel: Die Nebel von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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verwöhnte mich meine Mutter Igraine. Sie brachte mir das Spinnen bei, und von ihr lernte ich, mit farbigen Garnen zu weben. Aber sobald Uthers Männer in
    Sicht kamen, wurde ich in meine Kammer geschickt und war vergessen, bis er wieder davonzog. So ist es nicht verwunderlich, daß ich ihn haßte und aus ganzem Herzen den Anblick des Drachenbanners ebenso verabscheute wie jeden Reiter, der sich Tintagel näherte.
    Nach der Geburt meines Bruders wurde es noch schlimmer. Denn jetzt lag dieses wimmernde, rosaweiße Wesen an der Brust meiner Mutter. Es machte alles nur noch unerträglicher, daß sie von mir erwartete, ich solle ihn ebenso liebhaben wie sie.
    »Er ist dein kleiner Bruder«, sagte sie, »paß gut auf ihn auf und liebe ihn, Morgaine.« Ihn lieben? Ich haßte ihn aus tiefstem Herzen, denn wenn ich mich ihr näherte, wich sie mir aus und sagte, ich sei jetzt ein großes Mädchen.
    Ich sei zu groß, um auf ihrem Schoß zu sitzen, zu groß, um mit meinen Bändern zu ihr zu kommen, damit sie mir Schleifen band… zu groß, um ihr trostsuchend den Kopf auf die Knie zu legen. Ich hätte ihn gerne gezwickt, den kleinen Bruder, aber dann hätte mich Igraine nicht mehr gemocht. Manchmal dachte ich ohnedies: Sie haßt mich. Uther machte viel Aufhebens um meinen Bruder. Ich glaube, er hoffte immer auf einen zweiten Sohn. Niemand hatte es mir gesagt, aber auf irgendeine Weise wußte ich es – vielleicht hörte ich, wie die Frauen sich darüber unterhielten, vielleicht war die Gabe des Gesichts größer als ich damals wußte –, daß meine Mutter noch mit Gorlois verheiratet war, als sie zum ersten Mal das Bett teilten. Es gab immer noch Leute, die glaubten, mein Bruder sei nicht Uthers Sohn, sondern der Sohn des Herzogs von Cornwall.
    Weshalb sie das glaubten, verstand ich damals nicht. Wie man sagt, war Gorlois dunkel und hager. Aber mein Bruder war blond, wie Uther, und er hatte graue Augen. Selbst zu Lebzeiten meines Bruders, der später als Arthur den Thron bestieg, hörte ich alle möglichen Geschichten, wie er zu seinem Namen gekommen sei. Eine Geschichte behauptet sogar, er bedeute
Arth-Uther
, was soviel heißt wie Uthers Stamm. Aber das stimmt nicht.
    Als kleines Kind nannte man ihn Gwydion, der Strahlende, wegen seiner glänzenden Haare. Später trug sein Sohn diesen Namen… aber das ist eine andere Geschichte. Die Wahrheit ist einfach: Man schickte Gwydion als Sechsjährigen zu Ectorius, einem von Uthers Vasallen, ins Nordland, in die Nähe
    von Eboracum. Damals ordnete Uther an, daß mein Bruder als Christ getauft wurde. Und so erhielt er den Namen Arthur.
    Vom Tag seiner Geburt an bis zu dem Tag, an dem er zu seinem Ziehvater Ectorius gebracht wurde, hing Gwydion an meinen Rockzipfeln. Sobald er entwöhnt war, übergab ihn meine Mutter mir und sagte: »Dies ist dein kleiner Bruder. Du mußt ihn lieben und für ihn sorgen.« Am liebsten hätte ich das schreiende Bündel umgebracht und über die Klippen geworfen. Ich wollte bei meiner Mutter sein und sie flehentlich darum bitten, wieder ganz mir zu gehören. Aber Igraine sorgte sich um Gwydions Wohl.
    Einmal kam Uther zurück, und sie schmückte sich wie immer mit ihrem besten Gewand. Sie legte ihre Kette aus Bernstein und den Mondstein um den Hals. Mir und meinem kleinen Bruder gab sie einen flüchtigen Kuß, um im nächsten Augenblick mit glühenden Wangen Uther entgegenzulaufen. Ihr Atem ging schneller vor Freude, da ihr Mann zurückgekommen war… und ich haßte beide: Uther und meinen Bruder. Ich stand weinend oben an der Treppe und wartete darauf, daß die Amme uns wegbrachte. Gwydion stolperte schreiend hinter Igraine her und rief: »Mama! Mama!« Er konnte damals kaum ein Wort sprechen. Er stürzte hin und stieß sich das Kinn an der Treppenstufe. Ich rief verzweifelt nach meiner Mutter. Aber sie war auf dem Weg zum König, drehte sich um, herrschte mich an: »Ich habe dir doch gesagt, du sollst auf das Kind aufpassen, Morgaine!« und eilte weiter.
    Ich hob den Schreienden auf und wischte ihm mit meinem Schleier das Kinn ab. Gwydion hatte sich die Lippe an einem Zahn verletzt – ich glaube, er hatte damals erst acht oder zehn Zähne. Er jammerte und rief nach meiner Mutter. Als sie nicht kam, setzte ich mich auf die Treppenstufe und nahm ihn auf den Schoß. Er legte mir die kleinen Arme um den Hals und vergrub sein Gesicht in meiner Tunika. Nach einer Weile versiegte sein Schluchzen, und er schlief ein. Gwydion war schwer. Seine Haare fühlten

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