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Die Nebelkinder

Die Nebelkinder

Titel: Die Nebelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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als für jeden Menschen - ihren Vater vielleicht ausgenommen, aber den gab es nicht mehr. Es war schmerzhaft für Gerswind gewesen, sich an den Verlust des Vaters zu gewöhnen. Als sie es endlich akzeptiert hatte, dass er tot war, hatte sie sich auch mit dem eigenen Tod abgefunden. Mitjedem weiteren Tag, den sie bei Wasser, Brei und Brot hier eingesperrt war, erschien ihr das Sterben weniger schreckhaft. Manchmal wünschte sie es sich sogar, konnte sie dann doch ihren Vater und ihre so früh verstorbene Mutter wiedersehen.
    Die Glocke schlug nicht länger, die Mönche waren jetzt zum Morgenlob versammelt. Sobald sie ihren Gottesdienst beendet hatten, würde man Gerswind zur Hinrichtung abholen. So hatte es Vogt Wenrich am Tag ihrer Verurteilung verkündet. Gerswind legte die Handflächen gegeneinander und versuchte zu beten. Aber kein Wort kam über ihre Lippen. Was sollte sie dem Herrn im Himmel sagen, um was ihn bitten? Ihre Rettung zu erflehen erschien ihr unangemessen. Gewiss hatte sie oft gesündigt, mit Worten, Taten oder in Gedanken, wenn auch zumeist nicht absichtlich. So es dem Herrn gefiel, sie zu sich zu rufen, sollte es geschehen.
    Ein metallisches Klacken riss sie aus ihren Uber- legungen. Sie kannte das Geräusch: das schwere Drehen des Schlüssels im Türschloss. Zweimal am Tag ertönte es, morgens und abends, wenn ein Wächter ihr zu essen brachte. Überrascht riss sie die Augen auf und starrte auf das dunkle Viereck der schweren Eichenholztür, das sich kaum vom Rest der Wand abzeichnete. Sie hatte nicht damit gerechnet, vor ihrer Hinrichtung noch ein Frühmahl gereicht zu bekommen. Oder war es bereits so weit, kamen die Henkersknechte zu ihr, um sie zur Richtstatt zu führen?
    Die Gelassenheit fiel von ihr ab, heiße und kalte Schauer suchten sie im schnellen Wechsel heim. Angesichts des nahen Endes erkannte sie, dass sie auf den Tod weit weniger gefasst war, als sie geglaubt hatte. Ihre schweißnassen Hände umklammerten das Holz der Pritsche, wie um das Leben festzuhalten. Sie schämte sich für ihre Angst und suchte vergebens nach dem Grund. Fürchtete sie das Unbekannte, das sie im Jenseits erwartete? Oder bangte sie um all das, was man ihr an diesem Morgen auf ewig rauben wollte, eine Zukunft, ein Leben mit Glück und Tränen? Sie dachte an Albin und bedauerte zutiefst, dass sie ihm nie gesagt hatte, wie sie für ihn empfand.
    Knarrend schwang die Tür auf und eine schemenhafte Gestalt trat mit laudosen Schritten ein. Der Gang hinter der Tür war ebenso finster wie die Zelle, weshalb Gerswind ihren Besucher nicht deuüicher sah. Es schien sich nur um eine Person zu handeln, Wächter oder Mönch, das vermochte sie nicht zu erkennen. Aber die Mönche mussten noch in der Kirche sein, um die Laudes abzuhalten. Einen heftigen Herzschlag lang hatte sie gehofft, Albin sei gekommen, um sie zu holen, aber die Gestalt in der Tür war zu groß.
    Ein eigenartig strenger Geruch ging von dem Unbekannten aus, fast wie die Ausdünstung eines Tieres. Er zog die Tür hinter sich zu, ohne sie zu verschließen, und trat an die Pritsche. Augen, die auffällig weit auseinander standen, leuchteten im schwachen Dämmerlicht. Und endlich, als das Gesicht dicht über ihr schwebte, erkannte sie das pferdeähnliche Anüitz des Mischlers.
    »Waldo?«
    »Du erinnerst dich an mich, wie schmeichelhaft«, sagte er mit leiser Stimme, in der ein Anflug von Belustigung mitschwang. »Andererseits hast du allen Grund, ein dankbares Andenken an mich zu bewahren. Immerhin haben ich und meine Krieger dich vor den Rotelben gerettet.«
    »Ihr kamt erst hinzu, als Albin und Findig den Kampf entschieden hatten«, erwiderte Gerswind, während ihr tausend Fragen durch den Kopf schössen: Wie kam Waldo hierher? Woher hatte er den Schlüssel zu ihrer Zelle? Was wollte er von ihr?
    »Wir hätten uns besser gar nicht um dich scheren sollen.«
    Waldos Stimme klang jetzt hart und kalt. Etwas Bedrohliches ging von dem Mischler aus. Hätte Gerswind nicht ohnehin an diesem Morgen sterben sollen, hätte sie um ihr Leben gefürchtet.
    »Warum nicht?«, fragte sie.
    »Deinetwegen kamen wir zur Abtei und deinetwegen wurde Albin von Wenrich gefangen. Bei dem Versuch, ihn zu befreien, starben alle meine Männer. Ich bin der Einzige, der Kampf und Folter überlebt hat. Und auch das nur, weil Wenrich mich braucht.«
    »Er braucht dich, wozu?«
    »Ich kenne mich gut im Reich der Nebelkinder aus. Aber lassen wir das, ich bin aus einem anderen Grund hier.

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