Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nebelkinder

Die Nebelkinder

Titel: Die Nebelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
Vom Netzwerk:
bleiben. Er hockte auf einem breiten Astgeflecht und seine umherschweifenden Augen suchten die gegenüberliegenden Bäume ab. Irgendwo dort musste Durin sich verbergen. Sie waren an verschiedenen Bäumen hochgeklettert, was ihnen mit ihren nackten Elbenfüßen leicht gefallen war. Hilfen gab es nicht bei diesem Zweikampf, keine Werkzeuge und keine Waffen. Nur die Kraft und Geschicklichkeit der Rivalen um die Königswürde zählte - und das, was die Menschen in ihrer Unwissenheit als Elbenzauber bezeichneten.
    Eine Gestalt kam hinter einem dicken Eichenstamm hervor und schritt ganz offen auf Albin zu. Dessen Herz schlug schneller und seine Hände wurden feucht. Durin trat ihm so freimütig entgegen, als gehe es nicht um Leben oder Tod, sondern nur um einen harmlosen Wettstreit. Mit sicheren Schritten bewegte der Braunelbenkönig sich über einen breiten Ast, der geradewegs zu Albins Baum führte. Die langen Zehen mit den krallenartigen Nägeln fanden sicheren Halt. Viel mehr als Albin war Durin es gewohnt, sich auf diese Art fortzubewegen. Trotzdem beschloss Albin, ihm entgegenzugehen. Er sah keinen Sinn darin, den Kampf hinauszuzögern. Auf jenem Ast, einer Brücke über der tödlichen Tiefe, sollte die Entscheidung fallen.
    Als er entschlossen vortrat, ging unter ihm ein Raunen durch die Menge. Die gesammelten Gefühle der Elben trafen ihn wie eine sturmgepeitschte Welle, und er spürte in dem Gemisch aus Erregung, Neugier, Hass und Zustimmung auch plötzliches Erschauern. Vielleicht war es diese unerwartete Empfindung, die ihn warnte und ihn im letzten Augenblick zurückschrecken ließ. Vielleicht hatte aber auch etwas in ihm bemerkt, dass der Ast, den er gerade betreten wollte, vorher nicht da gewesen war. Er wich so hastig zurück, dass er fast das Gleichgewicht verlor. Gerade noch erwischte er einen belaubten Zweig, an dem er sich festhielt. Herbstbunte Blätter lösten sich und schwebten wie in einem kunstvollen Tanz langsam nach unten.
    Der Ast, den er hatte betreten wollen, war verschwunden. Und mit ihm hatte Durin sich in Luft aufgelöst. Vielmehr das von Durin erschaffene Trugbild des Braunelbenkönigs. Der richtige Durin musste sich irgendwo versteckt halten, vielleicht ganz in seiner Nähe. Albin an seiner Stelle hätte die Täuschung benutzt, um sich unbemerkt an den Gegner anzuschleichen.
    Bist ein kluger Junge, aber es soll dein letzter Geistesblitz gewesen sein!
    Gleichzeitig mit diesem fremden Gedanken traf ihn ein heftiger Schlag gegen die linke Seite. Durin! Er hatte sich aus dem Astwerk über Albin gelöst und ihn wie eine Raubkatze angesprungen.
    Durins Rechnung ging auf. Albin verlor den Halt und stürzte. Er streckte die Hand nach einem schräg herabhängenden Zweig aus. Vergebens. Er streifte den Zweig nur kurz, dann war Albin schon an ihm vorbei. Sein Sturz schien unaufhaltsam, kopfüber raste er dem Boden entgegen, wo ihn der Aufprall zerschmettern würde.
    Was ihn rettete, war mehr Instinkt als überlegtes Handeln. Als er an einem mehrfach gewundenen Ast vorbeifiel, gelang es ihm irgendwie, die Beine um das Holz zu schlingen und ineinander zu verhaken. Ein schmerzhafter Ruck ging durch seine Muskeln, sein Oberkörper wurde herumgewirbelt und sein Kopf schlug gegen einen anderen Ast. Das löste einen jähen Schmerz aus, doch Albin ließ den rettenden Ast nicht los. Er rang den Schwindel nieder, der sich seiner bemächtigen wollte, und schwang sich rittlings auf den Ast. Als er endlich sicheren Halt fand, schloss er kurz die Augen und rang nach Atem. Es war ein unwirkliches Gefühl, noch am Leben zu sein.
    Etwas traf ihn wie ein Pfeil, der in ihn eindrang. Es war ein Gedanke seines Gegners, der Enttäuschung und Zorn verriet. Durin hatte sich bereits als Sieger gesehen.
    Albin riss die Augen auf und blickte nach oben, aber Durin war verschwunden, hielt sich abermals verborgen. Um nicht erneut überrascht zu werden, musste Albin seine Elbenkräfte einsetzen. Er versuchte herauszufinden, woher der fremde Gedanke kam. Wie ein Laut hatte auch ein Gedanke eine Richtung, hinterließ eine Spur, die zu seiner Quelle führte. Durins Gedanken waren gedämpft und undeutlich, aber sie schienen jetzt sehr nah zu sein. Als Albin die Richtung gefunden hatte, konnte er Durin dennoch nicht entdecken. Zweifelnd starrte er auf ein dichtes Geflecht unterschiedlich langer und dicker Aste, die in alle Richtungen wiesen.
    Täuschte er sich oder bewegte sich einer der Aste langsam auf ihn zu? Albin konzentrierte

Weitere Kostenlose Bücher