Die Nebelkinder
übertönte Durin den Lärm der allgemeinen Erregung, wobei er abwechselnd König Amon und Königin Amura anblickte. »Nun seht ihr, wer die Verräter sind. Wer mit den tückischen Rotelben im Bunde steht, kann nichts Gutes vorhaben. Warum schmuggeln Findig und dieser angebliche
Prinz namens Albin eine bewaffnete Bande in meine Burg ein, wenn sie nichts Böses im Schilde führen?«
»Die Rotelben sind hier, um uns vor dir zu schützen«, entgegnete Findig. »Wer wie du ein ganzes Königsgeschlecht meuchelt, ist auch dazu fähig, vor den Augen der Hoheiten Amura und Amon weitere Morde zu begehen.«
Amura legte die Hände auf Albins Gesicht, tastete über seine Wangen und seine Schläfen, wobei sie die Augen schloss. Eine seltsame Empfindung kam über Albin, ein warmes, angenehmes Kribbeln, das von seinem Kopf aus durch seinen ganzen Leib strömte. Es war, als verschmelze ein Teil von seinem Geist und seinen Gefühlen mit der Königin der Lichtelben. Um ihn herum verschwand alles, der Saal, die Höflinge und die Bewaffneten. Er saß mit der Königin im Geäst eines hohen Baums, über ihnen erstrahlte ein sonnendurchfluteter Himmel, und sie sprachen lange miteinander. Als das Trugbild verschwand, Amura sich von ihm löste und die Augen wieder aufschlug, wusste Albin, dass in Wahrheit nur eine kurze Zeitspanne vergangen war. Er fühlte sich ein wenig schwindlig, bemühte sich aber keine Schwäche zu zeigen.
»Seine Kraft, seine Fähigkeiten sind ungeheuer, die eines Prinzen - eines Königs!«, verkündete Amura. »Wenn Albin nicht von königlichem Geblüt ist, dann ist es niemand in diesem Saal!«
Durin warf ihr böse Blicke zu. »Vergiss nicht, dass du bei mir zu Gast bist, Amura! Hier gelten die Gesetze der Braunelben und niemand aus einem anderen Stamm bestimmt, wem die Königswürde gebührt.«
Amon trat vor. »Ich habe König Alwis gut gekannt. Wir waren häufig unterschiedlicher Meinung, aber ich habe ihn immer als einen wahren Elbenkönig geachtet. Auch mich beeindruckt dieser Junge, seine Haltung, seine Worte. Ob er der rechtmäßige König der Braunelben ist, vermag ich nicht zu sagen. Aber da Durin sich auf die Gesetze seines Stammes beruft, legt er selbst einen Weg nahe, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Es gibt ein altes Gesetz bei allen Stämmen der Nebelkinder, die Königsprobe!«
Hatte Durin dem Schwarzelbenkönig bislang mit wachsendem Unmut zugehört, so hellte sich seine Miene schlagartig auf. Ein triumphierendes Glitzern trat in seine Augen, und er sagte: »Amon hat uns einen weisen Rat erteilt. Ich werde diesen Albin als das entlarven, was er ist, ein Thronräuber, wenn er den Mut hat, sich auf die Königsprobe einzulassen.«
In der Nacht hatten Findig, Rohon und Albin über alles gesprochen, was dieser Tag bringen mochte. Auch die Königsprobe hatten sie erwähnt: ein Zweikampf, ausgetragen mit allen Elbenkräften. Albin hatte zwar die Fähigkeiten seines Vaters geerbt, aber er hatte kaum Zeit gefunden, sich darin zu üben. Wie stark dagegen Durin war, hatte Albin bei ihrer ersten Begegnung erfahren. Doch ein Rückzieher hätte ihn um seine Glaubwürdigkeit gebracht. Außerdem würde er vielleicht nie wieder eine solche Gelegenheit erhalten, sich an dem Mörder seiner Familie zu rächen.
Deshalb sagte er mit fester Stimme: »Ich nehme die Herausforderung an!«
Es waren wohl die höchsten Bäume, die in der ganzen Elbenburg wuchsen. Uralte, hohe Eichen, die so dicht beieinander standen, dass ihre Aste zusammengewachsen waren und sich zu einem mal mehr und mal weniger dichten Flechtwerk verbunden hatten.
Von unten sahen sie aus wie Riesen, d e sich hoch über den Köpfen der Elben die Hände reichten. Hier oben, inmitten des hölzernen Flechtwerks, wirkte es anders. Die Welt bestand nur noch aus den riesigen Eichen. Die ameisenhaft kleinen Gestalten unten am Boden - die drei Elbenherrscher mit ihren Höflingen, Rohon und Sundra mit den Rotelben, Gordo mit seinen Gardisten, Egin mit vielen weiteren Bediensteten - schienen für die luftige, hölzerne Welt der Eichenkronen bedeutungslos zu sein. In gewisser Hinsicht stimmte das. Die Masse der Nebelkinder da unten war zum Zusehen verurteilt, hier in den Bäumen fiel die Entscheidung. Nur wenn einer der beiden Kontrahenten versuchte, aus dem Baumgeflecht zu fliehen, durften die Gardisten eingreifen. In diesem Fall war es ihre Aufgabe, den Flüchtling zu töten.
Albin atmete tief durch und versuchte, trotz der inneren Anspannung ruhig zu
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