Die Netzhaut
Wohnung gehörte einem gewissen Odd Løkkemo, wie Roar herausgefunden hatte. Als die Tür von einem Mann mit rötlich-grauem Haarkranz geöffnet wurde, zeigte er seinen Polizeiausweis und sagte:
»Odd Løkkemo, nehme ich an.«
»Schon möglich«, entgegnete der Mann kurz angebunden. Seine Augen waren gerötet, als hätte er gerade geweint.
Roar sagte, er sei mit Herrn Berger verabredet. Der Mann, der ihm die Tür geöffnet hatte, drehte seinen Kopf zur Seite und schrie:
»Elias! Besuch für dich!«
Die feminine Stimme sowie die wiegenden Hüften, als er nun den Flur entlangging, überzeugten Roar davon, dass er mit dem Fernsehstar mehr teilte als bloß die Küche.
Doch niemand kam, um den Gast zu begrüßen. Um nicht unbeholfen herumzustehen, öffnete Roar die erste Tür und blickte in ein Badezimmer. Es schien frisch renoviert zu sein, hatte römisch anmutende Kacheln und einen großen Whirlpool. Noch immer war niemand zu sehen. Roar öffnete einen der Badezimmerschränke. In den Regalen stapelten sich Waschlappen und Handtücher. Daneben standen Tuben und Pillengläser. Die meisten waren mit »E. Berger« beschriftet. Paralgin forte, registrierte Roar. Temgesic. Morphintabletten. Er merkte sich den Namen des Arztes, der sie verschrieben hatte. Nicht dass er sich viel davon versprach, doch womöglich ging hier jemand allzu freigiebig mit Betäubungsmitteln um.
Er probierte zwei, drei weitere Türen, entdeckte die Küche und eine Art Bibliothek. Hinter der vierten Tür verbarg sich ein riesiges Wohnzimmer. An einem Schreibtisch, mit dem Rücken zu Roar, saß ein Mann und beugte sich regungslos über die Tastatur eines Computers. Roar räusperte sich vernehmlich, doch der Mann reagierte nicht. Erst als er die Tür hinter sich zuwarf, drehte der Mann sich um, als sei er plötzlich zum Leben erwacht. Er blinzelte seinen Gast an. Seine langen Haare waren offensichtlich gefärbt und sahen im Kontrast zu der wächsernen, unreinen Gesichtshaut alles andere als natürlich aus. Roar bemerkte seine stecknadelgroßen Pupillen, obwohl es im Raum nicht besonders hell war.
»Polizei? War das heute?«, fragte Berger, als er den Ausweis sah.
Seine Überraschung schien echt zu sein, obwohl es nicht mal zwei Stunden her war, seit sie miteinander telefoniert hatten. Roar wollte ihn aufs Präsidium zitieren, doch Berger hatte erklärt, dass er keinesfalls dort erscheinen werde.
»Wie war noch gleich Ihr Name, Horvath? Ach ja, wir hatten telefoniert. Sind Sie ungarischer Abstammung?«
Roar dachte an Dan-Levis Bemerkung, dass Berger jede Gelegenheit nutzte, um die Kontrolle des Gesprächs an sich zu reißen. Roar begnügte sich mit einem vagen Nicken und entgegnete:
»Ich hatte Ihnen ja bereits gesagt, dass wir noch Antworten auf gewisse Fragen brauchen.«
»Ja, ja, natürlich«, erwiderte Berger mit dumpfer, nasaler Stimme.
Er zeigte auf einen Stuhl an der Wand. »Sie müssen entschuldigen, dass ich Ihnen nichts anbieten kann, aber mein Butler hat heute Nachmittag frei.«
Roar rang sich ein müdes Lächeln über den albernen Witz ab.
»Worum ging es noch gleich?«, näselte Berger. »Seien Sie so gut und helfen Sie meinem Gedächtnis ein bisschen auf die Sprünge. Hatte es mit der letzten Talkshow zu tun?«
Roar hatte am Telefon ganz genau erklärt, was er von ihm wollte, doch hütete er sich davor, auf Bergers närrisches Spiel einzugehen. Seine nasale Stimme und die winzigen Pupillen konnten jedoch darauf hindeuten, dass sein Gedächtnis tatsächlich außer Kraft gesetzt worden war. Was zum Teufel nimmt dieser Mann bloß?, fragte er sich. Jedenfalls nichts Aufputschendes. Er hatte ein paar Folgen von
Tabu
gesehen und konnte sich an die Sendung erinnern, in der es um Heroin gegangen war. Berger hatte sich ja wohl keinen Schuss gesetzt, ehe er von der Polizei vernommen wurde.
»Mailin Bjerke«, sagte Roar in neutralem Tonfall.
»Natürlich«, entgegnete Berger mit einem Stöhnen. »Tragisch, tragisch.« Er schnitt eine Grimasse. »Was für einen Status habe ich in dieser Angelegenheit? Gehöre ich zu den Verdächtigen? Sind Sie deswegen hierhergekommen, Herr Horvath? Um mir ein Geständnis zu entlocken?«
»Haben Sie denn etwas zu gestehen?«
Berger legte den Kopf in den Nacken, als wolle er lachen. Doch es war nur ein leises Krächzen zu hören. Roar überlegte, ob man ihn einliefern sollte.
»Ihnen würde schwindelig werden, Herr Horvath, wenn ich alles gestehen würde, was ich auf dem Gewissen habe.«
Er machte
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