Die Netzhaut
gerade in ihr Habilitationsprojekt aufgenommen, mit dem sie damals begann. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er sie bedroht hat.«
»Hast du eine Ahnung, wer dieser Patient gewesen sein könnte?«
»Ich bin ihm nie begegnet. Und Mailin hat auch nie seinen Namen verraten. Ich weiß nicht, ob er auf Anraten eines Arztes zu ihr gekommen war. Vielleicht lässt sich über die Krankenversicherung etwas herausfinden. Ich könnte noch ziemlich genau den Zeitpunkt ermitteln, wann er da war. Aber vielleicht hat sie dir gegenüber davon gesprochen.«
Sie wusste, dass er sich scheuen würde, ihr etwas von den Gesprächen zu offenbaren, die er mit Mailin hinsichtlich ihres Habilitationsprojekts geführt hatte.
»Ich glaube, ich weiß, worauf du anspielst«, entgegnete er. »Das ist schon mehrere Jahre her, und Mailin meinte, sie brauche in dieser Sache keinen Therapeuten, um darüber zu reden. Das könnte darauf hindeuten, dass sie die Sache selbst nicht als so wichtig einstufte, wie du es jetzt tust. Viele ihrer Patienten waren schließlich launisch und instabil.«
»Die Polizei ist heute hier gewesen. Sie wollten sich Zugang zu ihrem Aktenschrank verschaffen. Aber ich glaube nicht, dass sie dort etwas finden werden. Er ist schließlich fast leer. Ein paar Unterlagen zu ihrer Habilitationsschrift, aber keine Namen. Ich weiß nicht, wo Mailin so etwas aufbewahrte.«
Dahlstrøm schwieg für eine Weile. Dann sagte er:
»Ich habe eine Liste der Patienten, die an dem Projekt beteiligt waren. Ich werde zu ihnen Kontakt aufnehmen und sie auffordern, sich an die Polizei zu wenden.«
Seine Stimme hörte sich nicht überzeugend an.
»Ich hätte dir das schon viel früher erzählen sollen«, brachte sie heraus.
»Du hast getan, was du konntest, Torunn. Es ist leicht, sich selbst Vorwürfe zu machen. Wir sollten uns so gut wie möglich gegenseitig unterstützen.«
Sein Trost war zu viel für sie. Es machte ihr nicht aus, dass er hörte, wie sie weinte, und beendete das Gespräch, ohne das Thema anzuschneiden, das ihr mehr als alles andere auf der Seele lag.
10
R oar Horvath benötigte eine Stunde, um sich vorzubereiten. Im Internet scrollte er sich durch zahllose Dokumente und druckte ein paar Artikel aus, unter anderem von einer obskuren Homepage namens baalzeebub.com . Elias Frelsøi, wie Berger eigentlich hieß, war in Oslo aufgewachsen und hatte zuerst die Kampen- und später die Hersleb-Schule besucht. Seine Familie gehörte der Pfingstbewegung an. Frelsøi brach mit ihr im Alter von achtzehn Jahren und nahm den Namen seiner Mutter, Bergersen, an. Er begann an der Theologischen Hochschule zu studieren, brach sein Studium jedoch ab. Engagierte sich im Milieu um die anarchistische Zeitung
Gateavisa
. Er war Mitglied in mehreren Punkgruppen, ehe er seine eigenen Bands mit den Namen Hell’s Razors und Baal-zebub gründete. Letztere bestand bis Ende der 80er-Jahre. Später startete er unter dem Namen Berger eine Solokarriere. In den 90er-Jahren hatte er mehrere Hits, die von Glauben und Begierde handelten, meist ruhige, akustische Songs. Zur selben Zeit schrieb er mehrere Soloprogramme, die eine Mischung aus Konzert und politischem Kabarett waren und sich durch beißende Gesellschaftskritik an den »norwegischen Zuständen« auszeichneten. Zu Beginn des neuen Jahrtausends bekam er erstmals eine eigene Show im norwegischen Fernsehen, die jedoch nach drei Sendungen, angeblich wegen mangelnden Zuschauerinteresses, wieder abgesetzt wurde. Auf TV 2 lief ein Jahr lang seine »Stand-up-Rock-und-Satire«-Sendung, die ebenfalls abgesetzt wurde, obwohl sie in aller Munde war. Im Frühherbst dieses Jahres wurde er schließlich vom neu gegründeten Kanal 6 engagiert. Im Lauf weniger Monate, vor Mailins Verschwinden, schaffte es seine Fernsehshow
Tabu
mehr als zehn Mal auf die Titelseite der Boulevardzeitungen.
»Berger will Doping im Leistungssport legalisieren!«
»Berger beschimpft Feministinnen!«
»Berger isst ein Marzipanschwein in Gestalt des Propheten Mohammed!«
»Berger spritzt sich Heroin!«
»Ist Berger pädophil?«
Roar fiel ein, dass einer seiner besten Freunde, der Journalist beim
Romerikes Blad
war, den berüchtigten Talkmaster vor mehreren Jahren interviewt hatte. Roar hinterließ eine Nachricht auf seinem Anrufbeantworter, ehe er in die Garage ging und seinen Dienstwagen in Bewegung setzte.
Er fuhr gerade am Schlosspark vorbei, als sein Freund zurückrief.
»Hallo, hier ist Dan-Levi.«
Roar fummelte an seinem
Weitere Kostenlose Bücher