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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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Schmunzeln.
    »Weil du glaubst, dass das sowieso klar ist«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Aber du weißt genau, dass ich einiges zu sagen habe, wenn das Thema aufs Tapet kommt.«
    Sie sah ihm förmlich an, dass er glaubte, Oberwasser zu gewinnen.
    »Nein, weiß ich nicht. Keine Ahnung.«
    Er lehnte sich in aller Ruhe zurück.
    »Zwei Mal habe ich Oda zur Unfallambulanz gefahren. Ein Mal mit gebrochenem Arm, ein anderes Mal mit Brandwunden auf der Brust. Glaubst du etwa, die sind vollkommen blind und kriegen nichts mit?«
    Sie blieb mit halb geöffnetem Mund sitzen und wartete darauf, dass er beginnen würde zu lachen. Das war doch bloß wieder einer seiner geschmacklosen, makabren Witze. Doch weil er schwieg, musste sie zurückschlagen.
    »Ich werde niemals aussagen, dass du an dem Abend, als Mailin verschwand, mit Lara spazieren warst. Ist dir das klar? Ich bin nämlich an diesem Abend mit Lara spazieren gegangen. Und du bist erst nach elf nach Hause gekommen. Du riskierst, wegen einer Falschaussage aufs Präsidium zitiert zu werden, mein Lieber. Aber vielleicht willst du ja bei dieser Gelegenheit gleich das Sorgerecht beantragen.«
    Das saß. Er zog den Zahnstocher aus dem Mund, brach ihn in kleine Stücke und verteilte sie auf dem Tisch.
    »Du glaubst doch wohl nicht, ich hätte etwas mit Mailins Tod zu tun?«
    »Du hast keinen Schimmer, was ich glaube, Pål. Zuerst wirst du mir genau erzählen, was du an diesem Abend getan hast. Dann werde ich dir sagen, was ich glaube und was nicht.«
    Er rang sich ein gequältes Lächeln ab. Sie wusste, dass er sich charmant vorkam, wenn er dieses Lächeln aufsetzte. Nachgiebig und selbstsicher zugleich. Einst hatte sie dies selbst so empfunden. Jetzt war es nicht mehr als eine dämliche Fratze. Er wandte eine Therapie an, die den Leuten helfen sollte, aus ihrem eigenen Panzer auszubrechen. Doch er selbst zog sich mehr und mehr in eine Schale zurück. Sie hatte sich bemüht, in sein Inneres vorzudringen. Jetzt ekelte es sie davor, wenn sie sich vorstellte, auf was sie dort stoßen würde.
    »Das willst du nicht wissen«, entgegnete er.
    Sie spielte ihre letzte Karte aus.
    »Mailin hat herausgefunden, was du hier abends so treibst.«
    »Aha«, sagte er steif.
    »Sie hat mich gefragt, ob ich davon wüsste.«
    »Und was hast du gesagt?«
    »Ich habe ihr gesagt, dass ich alles wüsste, was in dir vorgeht. Das war einen Tag, bevor sie verschwunden ist. Das waren die letzten Worte, die ich von Mailin gehört habe, dass sie in dein Büro gehen und mit dir darüber sprechen wollte.«
    *
    Torunn glaubte, dass Tormod Dahlstrøm ihre Nummer immer noch gespeichert hatte. In diesem Fall würde ihr Name auf seinem Display erscheinen, wenn sie ihn anrief. Dann konnte er abheben oder zumindest später zurückrufen. Falls er es nicht tat, wäre das eine Bestätigung, dass sie ihm nichts mehr bedeutete.
    Dann hörte sie seine Stimme.
    »Tormod«, sagte er. Sie musste aufstehen und im Zimmer auf und ab gehen. Der Gedanke, dass er nach Mailins Tod wieder ihr Mentor werden würde, war grotesk. Deshalb schob sie ihn weit von sich.
    »Hallo, Tormod«, sagte sie mit leiser Stimme. »Ich bin’s, Torunn.«
    Sie ließ die beiden Namen ein bisschen aufeinander wirken.
    »Ich habe gesehen, dass du es bist«, entgegnete er und wirkte erleichtert. »Ich wollte dich auch schon anrufen.«
    Sie begriff, dass er die Wahrheit sagte, aber auch, warum er an sie gedacht hatte.
    »Es ist so furchtbar«, klagte sie. »So unwirklich. Ich kann es noch gar nicht glauben.«
    Es klang wie eine hohle Phrase, obwohl es der Wahrheit entsprach. Sie hatte viele Gründe, ihn anzurufen. Doch momentan konnte sie nur über einen einzigen mit ihm reden. »Ich habe über etwas nachgedacht, das Mailin zu mir gesagt hat. Ich muss deine Meinung dazu erfahren.«
    Sie hielt inne, er wartete ab. Sie hatte niemals einen besseren Betreuer als ihn gehabt und wusste, wie töricht sie damals gewesen war, sich einen anderen zu suchen. Sie hatte sich von ihrem Zorn leiten lassen und sich eingebildet, ihn damit treffen zu können. Und vielleicht hatte sie ihn wirklich ein wenig verletzt.
    »Vor ein paar Jahren hatte Mailin einen Patienten, mit dem sie nicht mehr weiter zusammenarbeiten wollte. Sie hat die Behandlung abrupt abgebrochen. Eigentlich hat sie ja nicht gekniffen, wenn es schwierig wurde. Doch damals schien sie richtig verängstigt gewesen zu sein.«
    »Hat sie dir Genaueres darüber erzählt?«, fragte Dahlstrøm.
    »Sie hatte ihn

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