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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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noch seine Jacke.
    Rikke schrieb:
    Vater von Z hat auf der Beerdigung nach dir gefragt. Hab ihm deine norwegische Adresse gegeben. Hab ich letztes Mal ganz vergessen, dir zu sagen. Hoffe, das ist okay.
    Das ist nicht okay!, raste es durch ihren Kopf. Vielleicht sagte sie es auch laut. Es ist überhaupt nicht okay, dass Zakos Vater meine Adresse hat. Was soll er damit? Sie verscheuchte diesen Gedanken. Sie bildete sich ein, ihn aus sich herauszupressen, ihm Rabenflügel zu verleihen und ihn in die kalte Osloer Dunkelheit davonfliegen zu lassen. So hatte sie sich als Teenager von lästigen Gedanken befreit. Doch inzwischen funktionierte das nicht mehr so gut.
    Jomars SMS lautete:
Ruf mich an. Muss mit dir reden.
    Als sie im Supermarkt vor der Gefriertruhe stand, war es plötzlich ein gutes Gefühl, dass er sich immer noch mit ihr treffen wollte. Sie wählte seine Nummer. Er schien nicht überrascht zu sein, ihre Stimme zu hören. Offenbar betrachtete er es als Selbstverständlichkeit. Das machte sie so zornig, dass sie am liebsten gleich wieder aufgelegt hätte. Doch sie nahm sich zusammen. Wollte nicht kindisch und unberechenbar wirken.
    »Was musst du mir denn unbedingt erzählen? Habt ihr ein Spiel gewonnen?«
    Sie war zufrieden mit ihrem Tonfall. Der Sarkasmus war wohl dosiert.
    »Versuch bloß nicht, mit mir über Fußball zu reden. Wenn wir uns treffen, erfährst du, worum es geht.«
    »Treffen wir uns denn?«
    »Ja.«
    »Wer hat das gesagt?«
    »Du.«
    »Du solltest dich an die Wahrheit halten.«
    Hinterher verfluchte sie ihre Nachgiebigkeit.
    An der Kasse war eine Schlange entstanden. Weiter vorne schien eine Diskussion im Gange zu sein. Liss stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können. Eine große, korpulente Frau schimpfte mit dem pickeligen jungen Mann hinter der Kasse. In diesem Moment kam ein Angestellter hinzu. Er war um die vierzig, hatte dichte, schwarze Haare mit ein paar grauen Strähnen auf der einen Seite.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er in gebrochenem Norwegisch.
    »Sind Sie hier der Chef?«
    »Heute Abend ja.«
    Die Frau breitete die Arme aus.
    »Der Naseweis hier hindert mich daran, bei Ihnen einzukaufen.«
    Der angebliche Supermarktleiter schaute den jungen Mann an der Kasse überrascht an. Ehe dieser etwas erwidern konnte, plapperte die Frau weiter: »Er behauptet, dass man bei Ihnen nur eine bestimmte Menge Milch kaufen darf. Stimmt das?«
    Der Mann dachte nach.
    »Eigentlich nicht.«
    »Eigentlich? Gibt es in diesem Laden eine Beschränkung oder nicht? Sind Sie etwa von den Behörden angewiesen worden, Ihre Vorräte zu rationieren?«
    Sie wurde immer wütender. Liss bemerkte, dass sie drei Einkaufswagen festhielt, die alle bis oben hin voll mit Milchkartons waren.
    »Wir müssen auch Rücksicht auf unsere anderen Kunden nehmen«, sagte der Kassierer.
    »Was soll das heißen? Glauben Sie etwa, ich kann nicht bezahlen?«
    »Das habe ich nicht gesagt.«
    »Dann lassen Sie mich endlich bezahlen, damit ich ein für alle Mal aus diesem Saftladen verschwinden kann. So schlecht bin ich wirklich noch nie behandelt worden. Unverschämtes Pickelgesicht!«
    Sie begann, die Milchkartons auf das Laufband zu stapeln.
    »Wie wollen Sie denn das alles mitnehmen?«
    »Das lassen Sie nur meine Sorge sein, Herr Araber. Sehe ich etwa so hilflos aus? Antworten Sie mir. Bin ich etwa mongoloid oder kriegsversehrt?«
    Der Mann mit den schwarzen Haaren trat zwei Schritte zurück und gab dem Kassierer ein Zeichen, dass die Frau so viel Milch kaufen könne, wie sie wolle. Dann setzte er sich an die Kasse, die am weitesten entfernt war, und rief: »Kommen Sie bitte hier herüber!«
    Liss war zuerst da.
    »Sehe ich etwa aus wie ein Araber?«, murmelte der Mann kopfschüttelnd und blickte zu der korpulenten Frau hinüber.
    Liss bezahlte und verließ das Geschäft.
    *
    Sie setzte sich ihm gegenüber an den Bistrotisch.
    »Tut mir leid«, sagte sie und vergaß, ihren sarkastischen Ton aufrechtzuerhalten. Sie wusste auch gar nicht, was ihr leidtat. Vielleicht dass sie zwanzig Minuten zu spät gekommen oder mit seiner Jacke abgehauen war und auf seine SMS nicht reagiert hatte.
    Jomar Vindheim lächelte ironisch.
    »Ist schon in Ordnung. Egal, was dir leidtut, Liss, es ist okay.«
    »Deine Jacke«, sagte sie und stellte die Plastiktüte neben seinem Stuhl ab. »Ich wollte sie nicht behalten.«
    »Ich hab dich wegen Diebstahl angezeigt«, entgegnete er ernst. »Aber ich konnte nur eine schlechte

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