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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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einer besseren Welt gesandt worden. Daraufhin sei es Zako wie Schuppen von den Augen gefallen, und sein Leben habe endlich die Richtung nehmen können, nach der er sich im Grunde seines Herzens schon immer gesehnt habe. A. K. El Hachem schreibe ihr dies, um seine tief empfundene Dankbarkeit darüber zum Ausdruck zu bringen, dass sein Sohn die gemeinsame Zeit mit ihr habe erleben und gleichsam erfahren dürfen, wie schön das Leben sei, wenn man sich dem Guten öffne. In den schweren Stunden nach dem Tod seines Sohnes sei dieser Gedanke nicht nur ihm als Vater, sondern seiner gesamten Familie ein unsagbar großer Trost gewesen, und sie alle hätten sehr viel von der norwegischen Frau gesprochen, die ein Licht im Leben seines Sohnes entzündet habe. A. K. El Hachem bekundete abschließend seine aufrichtige Hoffnung, sie eines Tages persönlich kennenzulernen, ob dies nun in Nîmes geschehe, wo sich seine Familie den Großteil des Jahres über aufhalte, in Amsterdam oder in ihrem Heimatland im Norden.

25
    D iesmal öffnete Berger Liss persönlich die Tür. Er nahm ihr die Jacke ab und hängte sie an die Garderobe.
    »Haben Sie Ihrem Butler heute Abend freigegeben?«, fragte sie, was Berger bestätigte.
    »Ein paarmal im Jahr hat er ein freies Wochenende. Er muss ja irgendwann seine alte Mutter besuchen und andere Dinge erledigen.«
    Im Wohnzimmer drang Musik aus unsichtbaren Lautsprechern. Es klang wie indische Trommeln und eine Art Ziehharmonika. Dazu stieß ein Mann mit heller, heiserer Stimme in rasendem Tempo seltsame Kehllaute aus, die einer befremdlichen Harmonik folgten.
    »Sufi-Musik«, bemerkte Berger, was ihr überhaupt nichts sagte.
    Das Wohnzimmer war von einem süßlichen Geruch erfüllt. Berger nahm eine rauchende Pfeife aus einem Aschenbecher und bot sie ihr an. Sie lehnte ab. Haschisch machte sie träge und abwesend, ihre Gedanken gingen dann in Richtungen, die ihr nicht gefielen, und nahmen alptraumhafte Züge an.
    Berger ließ sich auf ein Sofa sinken, legte seine langen Beine auf den Tisch und paffte vor sich hin.
    »Es stört Sie hoffentlich nicht, dass ich meine Nachmittagsmedizin einnehme«, sagte er. »Da Sie in Amsterdam leben, sind Sie ja sicher einiges gewohnt.«
    »Sie baten mich herzukommen«, sagte sie unvermittelt. Es war nicht mehr als eine Stunde vergangen, seit sie eine SMS von ihm bekommen hatte, während sie durch den Tøyenpark gestreift war und versucht hatte, sich zu sammeln.
    »Ja, ich habe Sie hergebeten, Liss«, bestätigte er, in eine Cannabiswolke gehüllt.
    Sie wartete ab.
    »Ich mochte Mailin«, fuhr er fort. »Sie war ein netter Mensch. Prinzipientreu, aber sehr nett.«
    »Sie hatten eine Verabredung miteinander. An dem Abend, als sie verschwand.«
    »Darüber haben wir das letzte Mal gesprochen.«
    »Doch jetzt ist sie gefunden worden. Und wenn das irgendwas mit Ihnen zu tun hat …«
    Sie wusste nicht, wie sie fortfahren sollte, und versuchte sich zu beruhigen. »Sie scheinen überhaupt nicht überrascht zu sein. Sie wirken so emotionslos.«
    Er schüttelte energisch den Kopf.
    »Sie irren sich, Liss. Der Tod überrascht mich nicht mehr, aber ich bin nicht gefühllos. Sie hätte es verdient, noch eine Weile weiterzuleben.«
    Sie bemühte sich, einen doppelten Boden in seinen Worten zu erkennen.
    »Der Tod ist unser ständiger Begleiter, aber natürlich müssen wir uns damit nicht andauernd beschäftigen. Das wird die Essenz meiner nächsten Sendung sein. Und natürlich wird es die letzte Folge von
Tabu
sein, denn worüber soll man nach dem Tod noch reden.«
    »Sind Sie ein Junkie?«, wollte sie plötzlich wissen.
    Er ließ sich noch tiefer in das Sofa sinken. Er trug einen seidenen Kimono. Es hätte sie nicht gewundert, wenn er darunter nackt gewesen wäre.
    »Man kann nicht die ganze Zeit im Paradies sein, Liss. Das ist es, was die Junkies nicht verstehen. Man muss die Kontrolle behalten. Braucht einen eisernen Willen, um auf des Messers Schneide zu balancieren.«
    »Und im Paradies ist man, nachdem man sich einen Schuss gesetzt hat?«
    Er entblößte seine winzigen weißen Zähne. Wie er so dalag, ungepflegt, unrasiert und grinsend, erinnerte er an einen der Räuber von Kardemomme.
    »Probieren Sie es aus, Liss. Das ist alles, was ich dazu sagen kann. Sie müssen es ausprobieren. Darüber kann man nicht reden. So zeigt sich uns Gott. Er gibt uns quasi eine Freikarte für die Tribüne und lässt uns das Vollkommene schauen. Es ist wie eine warme Decke, die uns

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