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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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für notwendig hielt, diese Erklärung hinzuzufügen. Sie hatten erst vor ein paar Tagen stundenlang miteinander gesprochen.
    »Natürlich«, sagte sie.
    »Ich habe die Nachrichten gesehen.« Ragnhild Bjerke hielt inne. »Ist das richtig, was sie sagen? Dass er vielleicht ihr Mörder ist?«
    Jennifer atmete schwer.
    »Das müssen die polizeilichen Ermittlungen …«
    »Glauben Sie, dass er es getan hat?«
    Ragnhild Bjerkes Stimme war genauso tonlos wie zuvor, doch hörte man ihre Angst am Telefon deutlicher heraus.
    »Ich würde Ihnen gerne eine Antwort geben, aber leider kann ich mir in dieser Hinsicht kein Urteil erlauben.« Jennifer spürte dieselbe Hilflosigkeit, die sie auch bei ihrem letzten Gespräch empfunden hatte. »Es tut mir sehr leid«, fügte sie hinzu.
    »Unser Gespräch am Montag war eine große Erleichterung für mich«, fuhr Ragnhild Bjerke fort.
    »Sie können jederzeit wiederkommen«, ermunterte Jennifer sie. »Wenn Ihnen das hilft.«
    »Ich habe über Ihre Frage nachgedacht.«
    »Ja?«, sagte Jennifer, ohne zu ahnen, welche Frage Ragnhild Bjerke meinte.
    »Nach unserem Gespräch lag ich die ganze Nacht wach und habe darüber nachgedacht. Natürlich habe ich mir damals Sorgen gemacht, wenn ich an den Abenden nicht da war. Lasse hat getrunken. In Nachhinein ist mir klar geworden, dass er auch Drogen genommen hat. Er war noch labiler, als ich Ihnen das letzte Mal erzählt habe. Er hatte enorme Stimmungsschwankungen, aber natürlich hat er die Mädchen geliebt, und so habe ich mir nie vorstellen können …«
    Jennifer warf einen Blick auf die Uhr. Sie hatte noch viel Arbeit vor sich, brachte es aber nicht übers Herz, das Gespräch abzubrechen.
    »Mailin hat mir nie etwas erzählt. Aber ich habe sie ja auch nie danach gefragt. Und wenn ich gründlich darüber nachdenke, hat sie es vielleicht doch getan. Einmal wollte sie, dass wir ein Sicherheitsschloss an ihrer Tür anbringen lassen. Sie hatte so etwas wohl im Fernsehen gesehen. Heute frage ich mich, warum ich der Sache damals nicht nachgegangen bin. Und jedes Mal wenn sie wusste, dass ich über Nacht fort sein würde, war sie regelrecht verzweifelt, hat aber andererseits nie etwas Konkretes gesagt, nie geweint und nie protestiert. Wenn ich jetzt daran denke, verstehe ich gar nicht, dass ich überhaupt wegfahren konnte. Dass ich Lasse vertraute. Er hatte ja so schreckliche Alpträume.«
    Sie schwieg.
    »Sie sollten sich keine Vorwürfe machen«, sagte Jennifer. »Sie haben es schon schwer genug.«
    »Wussten Sie, dass er Berger kannte?«
    Davon hatte Jennifer nichts gehört.
    »Sie verkehrten in denselben Kreisen, als ich Lasse kennenlernte. Feierten wilde Partys. Und natürlich ist es für ein unerfahrenes junges Mädchen besonders spannend, einem Künstler zu begegnen, der grenzenloses Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten hat.«
     
    Nachdem sie aufgelegt hatte, versuchte Jennifer erneut, Viken zu erreichen, doch auch diesmal ohne Erfolg. Sie entschied sich, es bei Roar zu versuchen. Damit würde sie ihm auch die Gelegenheit geben, sie für heute Abend zu sich nach Hause einzuladen.
    »Ich steh im Stau«, stöhnte er und wirkte gereizt. »Erst verschlafe ich total, und dann gerate ich auch noch mitten in einen Verkehrsunfall am Teisenkrysset. Vor fünf Minuten hat unsere Teambesprechung angefangen.«
    »Da wird Papa bestimmt schimpfen«, zog sie ihn auf, obwohl sie spürte, dass er für Scherze gerade nicht empfänglich war.
    »Es ist echt die Hölle los«, entgegnete er. »Ich erinnere nur an die Orderud-Sache.«
    »Bei uns ist es nicht viel anders«, tröstete sie ihn. »Hätten wir hier keine Sicherheitskräfte, würden sie bestimmt in den Obduktionssaal eindringen.«
    Für einen Augenblick stellte sie sich eine wilde Journalistenmeute vor, die sie an die Wand drückte, während Fotografen ihre Kameras in den offenen Bauch des halb obduzierten Leichnams hielten.
    Sie seufzte und hatte plötzlich den starken Drang, über etwas anderes mit ihm zu reden. Trotzdem sagte sie: »Willst du einen Obduktionsbefund hören? Berger hatte Bauchspeicheldrüsenkrebs.«
    Sie hörte ein Pfeifen am anderen Ende.
    »Aber daran ist er wohl nicht gestorben.«
    »Natürlich nicht. Die ersten Ergebnisse der Blutproben bestätigen die Annahme einer Überdosis Heroin.«
    »Er litt also an einer tödlichen Krankheit?«
    »Genau. Ich habe im Ullevål-Krankenhaus angerufen und den Oberarzt an den Apparat bekommen, der Berger behandelt hat. Die Geschwulst wurde vor

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