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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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hatte, wenn sie sich im Spiegel betrachtete, mit nichts als einem String bekleidet. Zu wissen, dass sie jemand anders in wenigen Stunden so sehen würde … Bergers Stimme:
Ich weiß, was geschehen ist, Liss.
Die Worte brachen über sie herein, sie musste sich hinsetzen. Am Tag nach dem Begräbnis hatte Jennifer angerufen. Liss fragte sie, ob es stimmte, was die Zeitungen schrieben, dass Berger Mailin getötet hatte. Und auch Jim Harris, der etwas gesehen hatte, was er nicht hätte sehen dürfen. Jennifer durfte ihr nicht verraten, was sie herausgefunden hatten, doch Liss verstand, dass die Polizei irgendwelche Beweise in der Hand hielt.
    Sie wurde die Gedanken an ihren letzten Besuch bei Berger nicht los. Seinen Geruch, als er sie an sich gedrückt hatte. Sie schrieb in ihr Notizbuch:
Ich werde dein Grab finden. Jede Nacht werde ich dorthin fahren und den Stein umwerfen und alles herausreißen, was dort wächst.

2
    L iss war fertig angezogen und geschminkt und auf dem Weg die Treppe hinunter, als sie eine SMS erhielt. Wie erstarrt blieb sie auf den Stufen stehen. Der Name auf dem Display erschien ihr wie ein böses Zeichen. Erst nachdem sie die Nachricht gelesen hatte, begann sie wieder zu atmen.
    Judith van Ravens bekundete ihr Beileid. Sie habe Zeitungsberichte verfolgt, viel an Liss gedacht und mit ihr gefühlt, behauptete sie. Liss sah keinen Grund, dies zu glauben. Es sei eine Erleichterung, schrieb Judith van Ravens, dass der Mord nun aufgeklärt sei. Sie wolle in die Niederlande zurückkehren und sich von den Fotos trennen, die sie bis jetzt aufgehoben habe. Sicherheitshalber sende sie diese Fotos jetzt an Liss, damit sie selbst entscheiden könne, ob sie gelöscht oder weitergeleitet werden sollten. Falls notwendig, erklärte Judith van Ravens, werde sie eine Aussage bei der Polizei machen, obwohl dies für den Fall bedeutungslos sei.
    Liss überlegte es sich anders, als sie ihren Finger bereits auf der Taste hatte, die alle Fotos löschen würde. Es waren vielleicht die letzten Aufnahmen von Mailin. Auch wenn sie Liss an ihren Auftraggeber erinnerten, musste sie die Bilder abspeichern.
    Sie öffnete den MMS -Speicher, blieb vor dem Spiegel auf dem Flur stehen, während die Bilder heruntergeladen wurden, und kämmte mit langen Bewegungen ihre immer noch feuchten Haare. Das hatte sie seit mehreren Tagen nicht mehr getan. Wenn sie hängenblieb, zog sie die Bürste einfach weiter, sodass sie jedes Mal einen kurzen Schmerz am Haaransatz spürte.
    Auf dem Display war inzwischen Mailin zu erkennen, wie sie gerade aus der Toreinfahrt in der Welhavens gate trat. Liss scrollte zu einer der Nahaufnahmen hinunter, die an einer Straßenbahnhaltestelle entstanden waren. Ihre Schwester schien einen unbestimmten Punkt über den Dächern anzuschauen, als wolle sie herausfinden, woher das Licht kam. Liss hatte diese Fotos schon einmal gesehen, auf Zakos Handy … Da fiel ihr etwas ein. Es war nichts Konkretes, mehr eine unmerkliche Regung in ihrem Kopf als ein Gedanke. Sie scrollte zurück, bis sie wieder Mailin in der geöffneten Toreinfahrt stehen sah. Auf dem nächsten Bild tauchte eine Gestalt hinter ihr auf. Dann kam ein Bild, auf dem diese Gestalt direkt neben ihr auf dem Bürgersteig stand. Es war ein Mann. Liss ließ ihren Arm sinken. Sie sah ihre eigenen Augen im Spiegel, ihre Pupillen waren so groß, dass sie in ihnen verschwinden konnte.
     
    Minuten später klingelte ihr Handy. Sie saß immer noch auf dem Boden im Flur und erwachte aus ihrer Erstarrung.
    »Ist was passiert?«
    »Ja«, antwortete sie.
    »Wann kommst du? Ich warte seit einer Dreiviertelstunde.«
    »Ich komme nicht.«
    Sie spürte nicht einmal den Anflug einer Enttäuschung. Er hatte ihr gesagt, dass er Mailin kaum gekannt habe. Er hatte sie angelogen. Menschen logen fast immer. Sie auch, wenn es nötig war. Jomar Vindheim war weder besser noch schlechter als andere.
    »Du warst in Mailins Praxis. Wenige Wochen vor ihrem Verschwinden.«
    Er schwieg.
    »Du bist mehrmals dort gewesen. Du kanntest sie.«
    Hätte er jetzt etwas entgegnet, hätte sie auflegen und ihr Handy ausschalten können. Doch sein Schweigen provozierte sie. Sie spürte, dass sie von einer Wut erfasst wurde, wusste jedoch nicht, woher diese Wut kam. Sie begann ihm Dinge an den Kopf zu werfen, für die sie keine Belege hatte. Warf ihm vor, bösartig und berechnend und zudem so dumm zu sein, dass er glaubte, sie hinters Licht führen zu können. Sie konnte sich nicht mehr

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