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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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Schublade holen musste.
    In dem Umschlag lag eine CD , auf deren Hülle ein kleiner Zettel klebte. »Ich habe am Telefon gesagt, dass alles okay ist. Stimmt aber nicht. Heb diese CD gut für mich auf. Erkläre dir alles später. Ich verlass mich auf dich, Liss. Ich drück dich, Mailin.«
     
    Es war dunkel, als sie vom Küchentisch aufstand. Sie schwankte die Treppe hinauf und ging in Viljams und Mailins Schlafzimmer. Dann fuhr sie den Rechner hoch, der auf dem Tisch unter dem Fenster stand, und wartete ungeduldig, bis der Computer zum Leben erwachte.
    Auf der CD waren zwei Dokumente gespeichert. Liss öffnete das erste, das »Patientenbeispiel 8: Jo und Jakka« hieß. Es enthielt mehrere Seiten Text, ein Gespräch zwischen Therapeut und Patient.
    Therapeut: Sie haben letztes Mal von einer Urlaubsreise nach Kreta erzählt. Damals waren Sie zwölf Jahre alt. Während dieser Reise ist etwas geschehen, das großen Eindruck auf Sie gemacht hat.
    Patient: Da war dieses Mädchen. Sie wohnte mit ihrer Familie neben unserem Appartement. Sie mochte mich. Wollte, dass wir zusammen sind. Sie wollte, dass ich verschiedene Dinge tue.
    Ter: Was für Dinge? (Lange Pause)
    Pat: Zum Beispiel das mit der Katze. Sie wollte, dass ich ein Katzenjunges quäle. Es hatte nur ein Auge, und es tat mir leid, doch Ylva wollte, dass wir es fangen und quälen.
    Ter: Sie brachte Sie dazu, Dinge zu tun, die Sie eigentlich nicht tun wollten?
    Pat (nickt): Und als ich stopp sagte, das können wir nicht machen, hat sie die anderen gegen mich aufgehetzt.
    Ter: Was ist mit den Erwachsenen? Haben die nichts bemerkt?
    Pat: Die haben sich nur um sich selbst gekümmert. Alle außer einem.
    Ter: Der Mann, den Sie schon letztes Mal erwähnt haben, den Sie Jakka genannt haben?
    Pat: Er wollte, dass ich ihn Jakka nenne. So wurde er genannt, als er in meinem Alter war. Sein Vater hatte einen Kleiderladen. Einen Konfektionshandel, wie er sich ausdrückte. Er wollte nicht, dass ich ihn anders nenne. Später habe ich seinen richtigen Namen herausgefunden. Hab es vielleicht schon von Anfang an gewusst. Ich hatte ja Bilder von ihm in der Zeitung gesehen.
    Ter: War er allgemein bekannt? (Pause)
    Pat: Er hat mir was vorgelesen. Ein englisches Gedicht. Er hat es für mich übersetzt. Es handelt von einem ertrunkenen Phönizier, der auf dem Meeresgrund liegt. Ein attraktiver junger Mann, stark und muskulös. Doch jetzt sind nur noch seine Knochen übrig. »Death by water« hieß das Gedicht. Später haben wir es zusammen gelesen.
    Ter: Sie haben mehrmals mit ihm gesprochen?
    Pat: Er tauchte ständig auf. War immer da, wenn ich ihn brauchte. Glauben Sie mir etwa nicht? Glauben Sie, ich denke mir das alles nur aus?
    Ter: Ich glaube Ihnen.
    Pat: Ich war total am Boden. Hatte mich entschieden, einfach zu verschwinden. Bin im Dunkeln zum Strand gegangen, hab mich ausgezogen und war schon auf dem Weg ins Wasser. Wollte so weit schwimmen, bis ich nicht mehr konnte … Da kam er plötzlich wie aus dem Nichts. Hatte auf einem Stuhl gesessen und aufs Wasser geschaut. Als hätte er auf mich gewartet. »Hey, Joe!«, hat er gerufen. Das tat er immer, wenn er mich sah. Ohne dass ich etwas sagen musste, wusste er genau, was ich vorhatte. Er brachte mich auf andere Gedanken. Nahm mich mit auf sein Zimmer. Dort saßen wir dann und haben die halbe Nacht geredet.
    (Pause)
    Ter: Ist in dieser Nacht noch mehr geschehen?
    Pat: Noch mehr?
    Ter: Letztes Mal haben Sie angedeutet, dass etwas zwischen Ihnen und diesem Mann vorgefallen ist …
    Pat (hitzig): Nicht das, was Sie glauben. Jakka hat mich gerettet. Wäre er nicht gewesen, würde ich jetzt nicht hier sitzen. Sie wollen mich zu der Aussage verleiten, dass er mich ausgenutzt hat.
    Ter: Ich möchte, dass Sie es mit Ihren eigenen Worten erzählen.
    (Pause)
    Pat: Mir war kalt. Ich habe in seinem Zimmer geduscht. Danach hat er mich abgetrocknet, mich ins Bett gelegt … Er legte sich neben mich und hat mich gewärmt.
    Ter: Sie haben gespürt, dass er sich Ihrer angenommen hat.
    Pat: Mehr als das. Als ich nach Norwegen zurückkam …
    (Pause)
    Ter: Sie sind ihm in Norwegen wiederbegegnet?
    Pat: Eines Tages, im selben Herbst, tauchte er einfach auf, vor der Schule. Wir haben eine lange Spazierfahrt gemacht, haben irgendwo angehalten und sind hinunter an den Strand gegangen. Er mochte mich. Alles, was ich sagte und tat, war okay.
    Ter: Und danach?
    Pat: Habe ich ihn wieder getroffen. Bin zu ihm nach Hause und das ganze Wochenende dort

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