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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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Marathonläufer, dem man im Ziel sagte, dass er gleich noch eine Runde laufen müsse. Er hatte damit gerechnet, dass er weiterhin an der Aufarbeitung des Falles in Bergen beteiligt sein und mit Mailin Bjerkes Angehörigen in Kontakt stehen würde. Stattdessen musste er sich von früh bis spät in Aktenberge vertiefen, was nur als Degradierung verstanden werden konnte, und er war drauf und dran, Viken geradeheraus zu fragen, ob das etwas damit zu tun hatte, dass er ihm in der Tiefgarage nicht die Wahrheit gesagt hatte.
    Sein Handy klingelte. Roar drehte die Musik ab und suchte nach seinem Headset, ehe ihm einfiel, dass er es auf seinem Schreibtisch hatte liegen lassen. Er klemmte sich sein Handy also zwischen Schulter und Ohr.
    »Guten Tag, hier ist Anne Sofie.«
    Rasch überlegte er, ob er jemand mit diesem Vornamen kannte, kam aber auf keine Anne Sofie. Doch durch ihren eleganten Bergenser Dialekt wurde ihm schlagartig klar, wer da am Apparat war: die Mutter von Ylva Richter.
    Vor ein paar Tagen hatte er ihren Ehemann angerufen, um herauszufinden, ob es vielleicht eine Verbindung zu Berger gab. Er hatte sich erkundigt, ob Ylva den bekannten Fernsehmann jemals erwähnt oder seine Musik gemocht hatte.
    »Mein Mann und ich haben viel über Ihre Frage von letztem Montag nachgedacht«, begann sie. Ihre puppenhaft sanfte Stimme brachte ihm sofort ihr Gesicht in Erinnerung. Als wäre es mit Wachs überzogen, hatte er bei seinem Besuch gedacht.
    »Wir können uns nicht daran erinnern, dass Ylva sich je für diesen Kerl interessiert hat.«
    Roar schob das verrutschte Handy wieder an seinen Platz.
    »Besaß sie keine seiner Platten?«
    »Nicht dass ich wüsste.«
    Anne Sofie Richter schwieg für ein paar Sekunden, ehe sie fortfuhr: »Ich hatte Ihnen doch eine Liste geschickt, auf der ich alles festgehalten habe, was Ylva in der Schule und in ihrer Freizeit gemacht hat.«
    »Diese Liste ist mir eine große Hilfe«, bekräftigte Roar.
    »Haben Sie denn etwas Neues herausgefunden?«
    Er fuhr durch eine enge, scharfe Kurve auf dem Store Ringvei, es war glatt, und soeben schob sich ein riesiger Lkw mit Anhänger von Nor-Cargo neben ihn. Wäre er bei der Verkehrspolizei, hätte er ihm für dieses waghalsige Manöver ein saftiges Bußgeld aufgebrummt. Auf der anderen Seite hielt er sich selbst nicht hundertprozentig an die Verkehrsregeln, so wie er in seinem Wagen saß, zusammengekrümmt und das Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt.
    »Dazu kann ich leider noch nichts sagen.«
    »Mir ist noch etwas anderes eingefallen«, sagte sie.
    Er fuhr gerade in den Tunnel bei Bryn und konnte sie nur noch schlecht verstehen.
    »Ich glaube nicht, dass es von großer Bedeutung ist«, verstand er gerade noch, ehe er abbremsen musste, um den Lastzug vorbeizulassen.
    »Bedeutung?«
    Sie redete weiter. Zwischen den Tunnelwänden machte der Lastzug einen ohrenbetäubenden Lärm. Er warf das Handy auf den Beifahrersitz, fuhr direkt hinter dem Tunnel in eine Parkbucht und schaltete das Warnblinklicht ein.
    »Alles ist wichtig«, wiederholte er. »Ich möchte es gerne hören.«
    Es vergingen ein paar Sekunden, ehe ihre Stimme am anderen Ende wieder da war.
    »Es ist schon ziemlich lange her. So lange, dass ich es nicht auf die Liste geschrieben habe.«
    »Wie lange?«
    »Es war im Spätsommer beziehungsweise im Frühherbst 1996. Da haben wir eine Ferienreise nach Südeuropa unternommen.«
    Roar riss das Handschuhfach auf und nahm rasch einen Briefumschlag und einen Kuli heraus.
    »Könnten Sie das buchstabieren? Ma-kry-gialos. Auf Kreta. Was ist da geschehen?«
    »Als wir eines Abends nach dem Essen nach Hause kamen, fanden wir ein totes Katzenjunges an unserer Wohnungstür. Jemand hatte es dort mit einem Seil festgebunden. Die eine Seite des Kopfes war vollkommen zerstört. Und dann die Augen … Es war fürchterlich, und natürlich haben wir danach nicht besonders gut geschlafen. Mein Mann hat daraufhin Anzeige erstattet, aber Sie wissen ja, wie das mit der Polizei in solchen Ländern ist …«
    »Tote Katze«, hatte Roar notiert. »Hing an der Tür«.
    »Ich weiß natürlich, dass dies nicht mit dem in Verbindung stehen kann, was später passiert ist, aber Sie hatten mich ja gebeten, auch von Reisen und unangenehmen Ereignissen zu berichten.«
    »Was war mit den Augen?«
    »Mein Mann hat es mir erzählt. Ich habe mich gar nicht getraut, das arme Tier näher zu betrachten. Aber beide Augen waren offenbar herausgestochen worden.«
    Roar klopfte

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