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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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Spalt unter der Gardine sickerte das Licht. Sie blieb liegen und studierte das Muster der Tapete. Kleine Apfelblüten, die sich auf die Decke zubewegten, als würde jemand einen Film abspulen. Und irgendwo dazwischen tauchte unablässig Mailins Gesicht auf. In ihrem blauen Pyjama steht sie vor dem Bett.
    Liss setzt sich auf.
    Was ist das?
    Mailin hält sich den Finger vor die Lippen. Dann dreht sie sich um und schließt die Tür.
    Sag mir, was los ist, Mailin.
    Die Schwester steht im Dunkeln und lauscht. Dann schlüpft sie zu Liss unter die Decke und legt den Arm um sie.
    Ich werde auf dich aufpassen, Liss. Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas Böses geschieht.
     
    Sie stand auf und ging ins Bad. Steckte sich den Finger in den Hals. Es kam nicht viel heraus, ihr Magen war so gut wie leer. Sie legte sich wieder hin und wickelte sich in die Decke ein. Das Foto von Mailin an der Haltestelle, sicher irgendwo in Oslo und vermutlich erst kürzlich aufgenommen. Von wem? Das konnte sie Zako nicht fragen. Er begriff, dass dies der schwache Punkt war, nach dem er gesucht hatte. Wusste er, wie anfällig sie war? Wenn sie dies offenbarte, würde sie die Kontrolle verlieren. Und wenn sie erst einmal Angst bekam, würde sie davon vollkommen überwältigt werden. Sie setzte sich ruckartig auf, fand das Handy in der Tasche, die über der Stuhllehne hing, ließ sich unterhalb des Fensters auf den Boden gleiten und tippte die Nummer ein. Es klingelte drei Mal, ehe jemand abnahm.
    »Liss?« Mailins Stimme war verschlafen. »Ist was passiert?«
    Liss atmete schwer.
    »Nein …« Sie blickte auf die Uhr, die sich am Fernseher befand. Sie zeigte 6:20. »Entschuldige, ich hab gar nicht gemerkt, wie früh es ist. Ich ruf dich später an.«
    »Egal, jetzt bin ich sowieso wach. Wollte eh früh aufstehen. Gutes Skiwetter heute.«
    Liss sah die gespurten Loipen vor sich, die sich zwischen den Kiefern dahinzogen. Wind in den Baumkronen. Sonst war alles ruhig.
    »Ich würde gern mitkommen zum Skilaufen.«
    Mailin gähnte.
    »Du kommst doch Weihnachten nach Hause, oder?«
    »Glaub nicht …«
    »Kannst du dir denn nicht mal eine kleine Pause gönnen, Liss?«
    Mailin traf den Nagel erschreckend oft auf den Kopf.
    »Pause? Das ist nicht gerade das, was ich brauche.«
    Das stimmte nicht, sie brauchte tatsächlich eine Auszeit, wusste jedoch nicht, wo. Jedenfalls nicht in Norwegen. Das war nicht mehr ihr
Zuhause
und würde es nie wieder sein.
    »Versuch nicht, mich zu überreden, Mailin.«
    Sie hörte ein Grummeln im Hintergrund, eine männliche Stimme.
    »Ist dein Freund da?«
    Mailin lachte kurz.
    »Du willst wohl wissen, ob es noch einen anderen gibt. Einen Lover, einen neuen Mann in meinem Leben.«
    »Und?«
    »Du weißt doch, wie langweilig ich bin. Der Mann, der neben mir liegt, heißt immer noch Viljam, und das schon seit zwei Jahren …«
    »Neben dir?«
    »Haha. Du rufst ja wohl nicht in aller Herrgottsfrühe an, um schlechte Witze zu machen. Sag mir lieber, was los ist.«
    Sie hatte die halbe Nacht wach gelegen, ohne den Gedanken daran abschütteln zu können, dass jemand ihre Schwester bedrohte. Jemand, der mit Zako und diesem Foto zu tun hatte … Erschöpft und erregt, zitternd wie eine Hochspannungsleitung, war sie schließlich ganz sicher gewesen, dass Mailin etwas Furchtbares zugestoßen war. Sie hatte sie gleich anrufen wollen, zwang sich aber zu warten.
    »Ich wollte einfach hören, wie es dir geht.« Deine Stimme hören, dachte sie. »Ob bei dir alles in Ordnung ist.«
    »Wieso sollte nicht alles in Ordnung sein?«
    »Ach, ich weiß auch nicht … ich habe nur das Gefühl, dass du dir manchmal zu viel Arbeit aufbürdest. All die Leute, um die du dich kümmerst.«
    »Irgendwas ist doch mit dir, Liss. Sag mir, was los ist!«
    Ehe sie es sich anders überlegen konnte, fragte Liss: »Warum kann ich mich eigentlich nicht an meine Kindheit erinnern?«
    Mailin antwortete nicht.
    »Manchmal tauchen irgendwelche Bilder auf«, fuhr Liss fort. »Vorhin, zum Beispiel, habe ich gesehen, wie du in mein Zimmer gekommen bist. Du hast die Tür abgeschlossen, dich neben mich aufs Bett gesetzt und mich umarmt. Und jetzt kommt es mir so vor, als sei das wirklich passiert.«
    »Das ist wirklich passiert«, sagte Mailin. »Zu Hause in Lørenskog.«
    »Davon hast du nie etwas erzählt!«, wunderte sich Liss.
    Es dauerte ein wenig, ehe Mailin antwortete.
    »Vielleicht wollte ich warten, bis du danach fragst. Man muss nicht alles wissen.«
    Liss

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