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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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knöpfte ihre Jacke zu.
    »Sie können sich einfach nicht einigen«, warf Pål Øvreby schmunzelnd ein. »Und da muss es ja zum Streit kommen.«
    Sie warf ihm einen kühlen Blick zu.
    »Davon verstehst du nichts, Pål, und damit brauchst du Liss auch nicht zu behelligen. Sie hat im Moment andere Dinge im Kopf.«
    »An jenem Donnerstag wollte Mailin um fünf Uhr nachmittags einen Patienten treffen«, sagte Liss. »Seine Initialen sind JH . Habt ihr eine Idee, wer das sein könnte?«
    Sie spürte, wie ihre Blicke sich von beiden Seiten in sie bohrten.
    »Hört sich ganz so an, als würdest du hier Ermittlungen anstellen«, bemerkte Pål Øvreby. Er lächelte sie auf eine Weise an, als glaubte er, Liss sei wegen ihm hierhergekommen.
    »Lass das, Pål«, wies ihn Torunn Gabrielsen zurecht. »Selbst dir ist ja wohl klar, warum Liss wissen will, was passiert ist.«
    Sie wandte sich wieder an Liss: »Ich weiß nicht, mit wem sich Mailin an diesem Tag verabredet hatte. Wir kennen die Patienten des anderen nicht.«
    Sie schien sich zusammenzureißen, um betont ruhig zu sprechen, und Liss ahnte, was sie so zornig machte.
    »Aber ihr habt doch einen gemeinsamen Aktenschrank.«
    Torunn Gabrielsen stand auf.
    »Zu Mailins Akten haben wir keinen Zugang. Sie hat eigene Schubladen, und die sind abgeschlossen.«

10
    T orunn Gabrielsen verabschiedete sich von ihrem letzten Patienten. Den ganzen Nachmittag hindurch war sie zerstreut und unkonzentriert gewesen. Ihre Gedanken kreisten um das, was am heutigen Tag geschehen war, als sie das Wartezimmer im zweiten Stock betreten und Pål dabei beobachtet hatte, wie er sich an Liss Bjerke ranschmiss.
    Torunn war vor ein paar Monaten im Magazin des
Dagbladet
auf Liss’ Fotos gestoßen. Sie sah vollkommen anders aus als ihre Schwester. Liss war auf eine sehr eigene Weise attraktiv, und selbst ihre idiotischen Äußerungen, was es heiße, eine junge Frau zu sein, konnten diesen Eindruck nicht zunichtemachen. In der Realität besaß ihr Gesicht eine noch stärkere Ausstrahlung als auf den Bildern. Es war diese verwirrende Mischung aus Naivität und Selbstbewusstsein. Torunn war diese Liss als eine Art Pilgerin erschienen, die sich auf einer gefährlichen Reise durch die Welt befand. Doch die Geschichte von der zarten, gefährdeten kleinen Schwester hatte sie nicht besonders interessiert. Bis sie das mit Pål und Liss erfahren hatte.
    Sie zog ihr Handy aus ihrer Handtasche hervor, die unter dem Tisch stand. Sie musste mit jemandem reden. Es war fast ein Jahr her, seit sie Kontakt mit Tormod Dahlstrøm gehabt hatte. Sie hatte selbst vorgeschlagen, ihre Treffen zu beenden. Zwar hatte sie gehofft, dass er protestieren und versuchen würde, sie zur Fortsetzung ihrer Gespräche zu überreden, doch nichts dergleichen war geschehen. Er hatte sofort ihre Gründe akzeptiert, obwohl er sich wahrscheinlich seinen Teil dachte, und das hatte ihren Zorn entfacht.
    Statt ihn anzurufen, vervollständigte sie eine Patientenakte und warf ein paar Dokumente in die Schublade, schloss sie ab und stapfte die Treppe hinauf. Die Tür zu Påls Behandlungszimmer war angelehnt, so wie immer, wenn er keinen Patienten hatte. Sie klopfte ein Mal, stieß die Tür sperrangelweit auf und trat ein. Er hackte auf die Tastatur seines Computers ein und ließ sich nicht stören. Sie schlug die Tür hinter sich zu.
    »Was wollte sie von dir?«, fragte sie gereizt.
    Er runzelte die Stirn und schaute sie an, als wisse er nicht, worauf sie hinauswollte.
    »Meinst du etwa Liss? Liss Bjerke?«
    Sie verzichtete darauf, seine Frage zu beantworten. Sie wusste nur zu gut, wann er log und in welcher Situation er versuchte, sie zu hintergehen. Sie kannte jeden Zug in seinem Gesicht und konnte darin lesen wie in einem Kinderbuch. Also gab er das Spiel auf, bevor es richtig begonnen hatte.
    »Du hast es doch selbst gehört. Sie will herausfinden, was mit Mailin geschehen ist. Es reagieren eben nicht alle mit Gleichgültigkeit, wenn jemand vermisst wird, der ihnen nahesteht.«
    Hatte er sie provozieren wollen, so war ihm dies gründlich misslungen. Sie kam ein paar Schritte auf ihn zu.
    »Ich will, dass du dich von ihr fernhältst!«, sagte sie schroff.
    Er runzelte erneut die Stirn und sah nun wirklich erstaunt aus.
    »Herrgott, ich habe nur gehört, wie sich jemand in Mailins Praxis zu schaffen machte, also habe ich nachgeschaut. Konnte ja schließlich nicht ahnen, dass es ihre kleine Schwester war.«
    Torunn hasste es, wenn er »kleine

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