Die Netzhaut
mich mitgenommen, damit ich mal auf andere Gedanken komme. Erzähl mir lieber von deinem Fußballspieler.«
Therese fing sich rasch wieder.
»Sag mal, Catrine, ich wollte eigentlich nicht, dass gleich die ganze Stadt davon erfährt.«
»Hab’s auch nur Liss erzählt. Ehrenwort! Auf sie kannst du dich total verlassen.«
Liss hatte fast nichts gegessen und spürte bereits beim zweiten Bier, dass sie ziemlich schnell betrunken sein würde.
»Von mir wird niemand etwas erfahren«, versprach sie und bekreuzigte sich. Der vertrauliche Tonfall hatte eine beruhigende Wirkung auf sie.
»Er ist so sexy, dass ich mir glatt ein Fußballspiel ansehen würde«, sagte Therese. »Eigentlich ist das ja meiner Meinung nach der größte Schwachsinn, aber ich würde ihn gern mal in so einer kurzen, engen Hose sehen …«
»Fußballer tragen aber sehr große und weite Hosen«, klärte Catrine sie auf. »Die brauchen wahrscheinlich so viel Platz, um alles gut darin zu verstauen. Handballer tragen kurze, enge Hosen.«
Liss musste grinsen. Catrine hatte sich schon immer für die männliche Anatomie interessiert und ihre Studien in natura betrieben.
»Wie heißt denn das Filetstück?«
»Jomar.«
Catrine stand der Mund offen.
»Willst du dich etwa mit einem Typ treffen, der Jomar heißt?«
»Ganz genau.«
»Du kannst ihn ja anders nennen«, schlug Liss vor, »wie wär’s mit Jay?«
»Und Fußballwissen musst du dir natürlich auch aneignen«, frotzelte Catrine. »Immer schön den Sportteil der Zeitung lesen, die Tabellen der deutschen und belgischen Liga studieren.«
Therese stellte ihr Glas ab.
»Aber so ist er gar nicht. Mit Jomar kann man über viele Dinge reden. Außerdem studiert er.«
»Auf der Sporthochschule«, erklärte Catrine und warf Liss einen vielsagenden Blick zu.
»Könntest du dir etwa vorstellen, dich mit einem dieser Weicheier von unserem Fachbereich zu treffen?«, fragte Therese.
»Pas du tout«,
stellte Catrine fest. »Jedenfalls nicht, wenn ich auf Sex aus wäre.«
»Und das bist du ja.«
»Ich schleppe am Samstagabend doch keinen Typ ab, um mit ihm über den norwegischen Sozialstaat zu diskutieren, wenn du das meinst.«
»Bad guys for fun«,
sagte Therese,
»good guys for …«
»Kolloquien!«, ergänzte Catrine.
Liss lachte. Die Haut, die sie umgab, war unsichtbar. Die anderen hatten sie vielleicht gar nicht bemerkt. Sie dachte, dass sie den Kontakt zu Catrine halten wollte. Und Therese mit den schwarzen Augen hätte sie am liebsten umarmt und an sich gedrückt.
Es war schon nach halb zwei, als er erschien. Aus irgendeinem Grund wusste Liss sofort, dass es der Fußballer war, als er den Raum betrat. Er war groß, sodass sein Kopf aus der Menge der anderen Leute herausstach. Hatte zerzauste, helle Haare, die gebleicht aussahen. Als Therese ihn erblickte, winkte sie und rief ihm etwas zu. Zusammen mit einem anderen dunkelhäutigen Typ mit Rastazöpfen kam er an ihren Tisch.
Therese machte alle miteinander bekannt.
»Catrine, das ist Jomar Vindheim.«
Er trug einen Anzug unter der Lederjacke, und um seinen Hals hing ein weißer Schal mit Goldfäden. Catrine lächelte ein wenig säuerlich, sicher wegen des bekannten Namens des Fußballers.
»Jomar, das ist Catrine, und dies hier ist …«
Er wandte sich Liss zu und nahm ihre Hand. Überrascht zog sie sie zurück, doch er hielt sie fest. Seine Augen waren auffallend schräg und sahen in dem gedämpften Licht grau aus.
»Jomar«, sagte er.
»Liss«, entgegnete sie und bekam ihre Hand frei.
Sein Kumpel hieß Didier und war, wie sich herausstellte, ein neuer Mitspieler aus Kamerun. Plötzlich zeigten Catrine und Therese ein leidenschaftliches Interesse an Fußball, und beide wussten verdächtig viel.
»Ihr spielt doch mit einer flachen Vier im Mittelfeld«, meinte Catrine zu wissen.
»Eigentlich mit einer flachen Elf«, entgegnete Jomar und übersetzte für Didier, der sich vor Lachen schüttelte.
»Bright girl«, sagte er und tätschelte ihr den Arm.
»Bien sûr, comme une vache«,
erwiderte sie mit ihrem strahlendsten Lächeln.
Catrines Großmutter kam aus Belgien, und Liss hatte den Eindruck, dass ihr Französisch fließend war. Auch Didier war offenbar beeindruckt und schien ein leichtes Opfer zu sein. Auf der anderen Seite des Tisches schmiegte sich Therese bereits an ihr Filetstück. Sie hatte ihn vom ersten Augenblick mit Argusaugen betrachtet, hatte einen unsichtbaren, doch unverkennbaren weißen Kreis um ihn geschlagen und
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