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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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Straße. Ein Postauto hielt an.
    »Ich geh eine rauchen«, sagte sie und stand auf.
    Sie stellte sich auf die Außentreppe. Die Zigarette schmeckte nach Schafwolle, doch Liss brauchte das jetzt. Sie brauchte noch mehr. Etwas, das ihr half, diesen Tag irgendwie durchzustehen. Seit anderthalb Wochen war sie nun in Oslo. Hatte keine Pläne für ihre Rückkehr nach Amsterdam. Limbo. Irgendetwas musste geschehen. Sie schnippte die halb gerauchte Zigarette zwischen zwei parkende Autos, öffnete den Briefkasten und zog Briefe, Broschüren, die
Aftenposten
und ein kleines braunes Päckchen heraus.
    Sie legte alles auf den Küchentisch.
    »Weihnachtspost für dich!«, rief sie Viljam zu, der im Wohnzimmer verschwunden war.
    »Schön«, antwortete er ohne nennenswerten Enthusiasmus.
    Sie setzte sich wieder in die Küche und löffelte ihre Suppe weiter. Sie war nur noch lauwarm, schmeckte aber unwahrscheinlich gut. Sie warf einen Blick auf die Post. Plötzlich kam ihr eine Idee. Sie schaute alles rasch durch und entdeckte, dass das braune Päckchen an Mailin adressiert war. Ihr Name war mit schwarzer Tusche geschrieben. Kein Absender.
    »Viljam?«
    Er kam aus dem Wohnzimmer.
    »Wir sollten das hier öffnen«, sagte sie und zeigte auf das Päckchen.
    »Ja, vielleicht.«
    Es schien ihn nicht besonders zu interessieren. Sie umfasste den wattierten Umschlag und fühlte einen harten Gegenstand. In diesem Moment kam ihr ein Verdacht.
    »Das ist doch nicht möglich …« Sie riss den Umschlag auf, steckte die Hand hinein und zog ein Handy heraus.
    Viljam starrte es an.
    »Mailins?«, fragte sie.
    »Leg das zurück. Rühr es nicht an. Das müssen wir sofort der Polizei aushändigen.«
    »Meine Fingerabdrücke sind schon drauf.«
    Sie schaltete es ein. »Kennst du den PIN -Code?«
    »Das ist keine gute Idee, Liss.«
    »Ich will aber!«, entschied sie.
    Er setzte sich an den Tisch.
    »Manchmal benutzt sie ihr Geburtsdatum als Geheimnummer.«
    Liss gab die Ziffern ein, aber es funktionierte nicht. »Was ist mit deinem Geburtstag?«
    Er nannte das Datum, ebenfalls ohne Erfolg.
    »Okay, ich geb auf. Lass uns zum Polizeipräsidium fahren.«
    Sie unternahm einen letzten Versuch. Ihr eigener Geburtstag. Das Display begann zu blinken.
    »Es klappt!«, rief sie und hielt ihm das Handy hin. Das Telefon suchte nach einer Verbindung und zeigte an, dass der Akku fast leer war. Sie öffnete das Menü.
    »Lass das die Polizei machen, Liss.«
    Sie ignorierte ihn und öffnete die Telefonliste. Der letzte Anruf war am 11. Dezember um 19:03 Uhr registriert worden. Sie riss einen Stift von der Küchentafel und ein Blatt Papier an sich.
    »Was tust du da?«
    Ihre Erregung schien auf ihn übergegangen zu sein.
    »Ich muss die Anrufliste haben.«
    Sie öffnete den Menüpunkt »Nachrichten« und notierte sich etwas. Fand die SMS , die Mailin ihr geschickt hatte:
Halte dir Mittsommer nächstes Jahr frei. Rufe dich morgen an.
    Als sie fertig war, hatte sie zwei Seiten vollgeschrieben.
    »Misstraust du etwa der Polizei?«
    »Bist du etwa von dem beeindruckt, was die bisher zustande gebracht haben?«, fragte sie und klickte sich zum Fotoalbum durch.
    »Sie hat nur selten Fotos mit dem Handy gemacht«, erklärte Viljam. »Erst im Sommer hat sie sich eine gute Digitalkamera gekauft, die sie fast immer bei sich hatte.«
    Das schien zu stimmen. Das letzte Foto war vor vierzehn Tagen aufgenommen worden, offenbar in einem Restaurant. Im schummrigen Licht war Viljams Gesicht zu erkennen.
    Viljam lächelte flüchtig.
    »Das war der Abend, an dem wir uns verlobt haben. Ich habe sie überrascht.«
    Liss öffnete die Liste mit den Videoclips. Dann blieb ihr der Mund offen stehen.
    »Was ist?« Viljam stand auf und ging um den Tisch herum.
    Sie zeigte auf das Display. Die letzte Aufnahme war am 12. Dezember um 05:35 Uhr gemacht worden.
    »Einen Tag nach ihrem Verschwinden …«
    »Hör zu, Liss. Wir sollten das jetzt sofort der Polizei übergeben.«
    Sie entgegnete nichts, sondern startete den Film.
    Schummriges Licht, kaum Details auszumachen. Ein Licht wird angeknipst. Wahrscheinlich von demjenigen, der die Aufnahme macht. Ein Fußboden wird sichtbar. Verstreute Zeitungen, ein paar Flaschen. Eine Gestalt liegt am Boden, gefesselt an einen Gegenstand.
    »Mailin!«, schrie Liss und biss sich unwissentlich auf die Lippe.
    Die Kamera zoomte sich heran. Der Lichtkegel richtete sich auf ihr Gesicht. Plötzlich Mailins Stimme.
    »Bist du da? Wo ist Licht?«
    »Was ist mit ihren

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