Die neue arabische Welt
Stätten« nennen und seiner Fremdherrschaft damit eine religiöse Legitimation verleihen.
Der Feldherr träumte jetzt von der Alleinherrschaft über die Welt, aber 1520 verstarb er überraschend. Über seinen Nachfolger Süleyman schrieb ein Chronist: »Alle Menschen sind sich darüber einig, dass ein sanftes Lamm
einem wilden Löwen gefolgt ist.« Doch das vermeintlich »sanfte Lamm« setzte die rigorose Expansionspolitik seines Vaters fort. Geschickt unterstützte er lokale Piratencliquen, um sich die Herrschaft über die Hafenstädte Tripolis, Tunis und Algier zu sichern. Den legendären Freibeuter Chairaddin, genannt Barbarossa, erhob Süleyman gar in den Rang eines osmanischen Großadmirals. Jahrzehntelang lieferten sich Barbarossa und seine Nachfolger eine erbitterte Dauerfehde mit den Spaniern und den anderen christlichen Mächten, entrissen ihnen Rhodos und Djerba und machten die Osmanen zu einer Handelsmacht im Mittelmeer.
Und auch im Osten konnte Süleyman große Erfolge feiern: Er eroberte den Jemen mit der Hafenstadt Aden am Arabischen Meer und nahm in Mesopotamien die alten Handelszentren Bagdad, Mossul und Basra ein. Das Osmanische Reich, um 1300 von dem türkischen Stammesführer Osman I. in Kleinasien begründet, erstreckte sich nun über Teile Asiens, Afrikas und Europas: von Algier im Westen bis nach Basra am Persischen Golf, vom jemenitischen Sanaa im Süden bis kurz vor Kiew im Norden.
Dank ihrer arabischen Provinzen waren die Osmanen zur Weltmacht geworden. Doch der Erfolg barg Probleme. In den nächsten drei Jahrhunderten drohte fast ständig ein Auseinanderbrechen des heterogenen arabischen Riesenreichs: Da gab es die gegensätzlichen Interessen von traditionellen Stämmen und städtischen Großhändlern; die religiösen Konflikte zwischen Maroniten, Drusen, Kopten, Schiiten und Sunniten; das Autonomiestreben mächtiger Familienclans und die Interventionen der Europäer.
Mit ihrem straff zentralisierten Verwaltungssystem versuchte die »Hohe Pforte«, wie der Sitz der osmanischen Regierung genannt wurde, die Kontrolle zu gewinnen. Die Geschicke Kairos und Damaskus’ wurden plötzlich am fernen
Bosporus entschieden. Dort ernannte der Sultan alle Gouverneure und regionalen Statthalter für die neugebildeten Provinzen und Finanzdistrikte. Die arabischen Gebiete wurden exakt vermessen, um die Steuern einzutreiben, die einen großen Teil der osmanischen Staatseinnahmen ausmachten. Militärs erhielten Staatsland als vererbbares Lehen. So bildete sich schnell eine neue türkische Elite, die sich aber mit der arabischen Oberschicht vermischte: Die Mamluken in Ägypten etwa belegten trotz ihrer Niederlage noch für Jahrhunderte hohe Positionen in Verwaltung und Militär.
Für die Menschen brachte die neue Fremdherrschaft nicht zwangsläufig Nachteile. Handelszentren wie Aleppo und Kairo boomten, und das einst von den Mongolen verwüstete Bagdad blühte wieder auf. Künstler verschmolzen arabische, persische und osmanische Stilelemente zu einer einzigartigen Mischkultur. Das schlug sich besonders im Gebrauch der Sprache nieder: Theologen lehrten auf Arabisch, Poeten bevorzugten Persisch, und die Amtssprache Türkisch wurde in arabischer Form niedergeschrieben.
Auch das Ausland war von der neuen Großmacht im Orient angetan. Sultan Süleyman, der im Westen den Beinamen »der Prächtige« genoss, blendete Staatsgäste mit sündhaft teuren Festen. Der bombastische orientalische Prunk war Teil seiner Außenpolitik, die das Osmanische Reich zum gleichberechtigten Partner im Kreis der europäischen Großmächte machte.
Hinter dieser glitzernden Fassade blieb die arabische Welt jedoch ein Krisenherd. 1524 etwa erhob sich Ägyptens Gouverneur Ahmed Pascha, ein Mann mit »despotischem Charakter«, wie ein Chronist schrieb, eigenmächtig zum Sultan. Die osmanischen Truppen mussten die Rebellion niederschlagen und köpften den Aufrührer zur Abschreckung.
Es half wenig: 1574 musste ein Aufstand der schiitischen Saiditen im Jemen mühsam niedergekämpft werden. Und im Maghreb konnten sich die lokalen Herrscher fast dauerhaft der Kontrolle Konstantinopels entziehen.
Zur Schwäche an der arabischen Peripherie kam der schleichende Zerfall im Inneren. Schon unter Süleyman war der Haushalt am Ende defizitär gewesen. Die Feldzüge der Osmanen verschlangen solch horrende Summen, dass in den Provinzen ein stehendes Heer nicht dauerhaft finanzierbar war. Notgedrungen kämpften die Soldaten in den Privattruppen
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