Die neue arabische Welt
Volkshelden auf, als er 1807 die Briten aus dem Land vertrieb, die nach Napoleons Rückzug mit 6000 Mann in Alexandria gelandet waren. Rastlos und brutal versuchte Mohammed Ali, Ägypten zu modernisieren. Vorbild waren europäische Nationalstaaten wie Frankreich – allerdings ohne deren demokratischen Anstrich. Er schuf Ministerien, ließ Schulen, Krankenhäuser und Textilfabriken aus dem
Boden stampfen, verbesserte die Bewässerung und verstaatlichte Landwirtschaft und Industrie. Die Wirtschaft zog an, Hunderte Studenten wurden erstmals zur Ausbildung ins Ausland geschickt, und in Ägypten gab es auf einmal eine Staatsdruckerei und eine Zeitung.
Bezahlt wurde der Fortschritt mit der Despotie des Modernisierers. Für den Bau eines Kanals von Alexandria zum Nil verpflichtete er kurzerhand 300 000 Bauern zur Zwangsarbeit. Potentielle Feinde, wie die immer noch mächtigen Mamluken, ließ Mohammed Ali 1811 im ganzen Land niedermetzeln.
Ägyptischer Vizekönig Mohammed Ali (Gemälde, 1840)
Europäische Beobachter blickten mit einer Mischung aus Faszination und Besorgnis auf den Wandel am Nil – besonders auf die Streitkräfte, die Mohammed Ali sich hauptsächlich von ehemaligen französischen Generälen aufbauen ließ. Ägypten schuf sich binnen zwei Jahrzehnten mit 150 000 Soldaten eine der größten Armeen der Welt. Nachdem Mohammed Ali 1821 den Sudan erobert hatte, machten seine Rekruteure dort systematisch Jagd auf Sklaven. Das habe, so ein britischer Augenzeuge, »zu einer weitgehenden Entvölkerung ganzer Landstriche geführt«.
Ägypten wurde so zur ersten afrikanischen Kolonialmacht nach europäischem Muster. Nur noch formell war es Provinz des Osmanischen Reichs. 1831 wagte Mohammed Ali den Konflikt mit Konstantinopel: Sein Sohn Ibrahim überrannte mit 25 000 Mann Syrien. Mehrmals versuchte der osmanische Sultan Mahmud II., Syrien zurückzuerobern, doch stets wurde er vernichtend geschlagen.
Jetzt wurden die Europäer unruhig. Ein starkes Großägypten widersprach ihren Interessen. Großbritannien, Russland, Österreich und Preußen drohten dem Pascha 1840 mit Krieg, falls er Konstantinopel angreifen würde. Als Kaufleute getarnte englische Agenten wiegelten im Libanon die Drusen gegen die ägyptische Herrschaft auf. Britische Kriegsschiffe beschossen Beirut. Als ihre Kanonen auch auf den königlichen Ras-el-Tin-Palast in Alexandria zielten, lenkte Mohammed Ali ein. Er wurde nun zwar als erblicher Vizekönig Ägyptens anerkannt und sicherte seiner Familie damit die Macht. Doch dafür musste er Syrien aufgeben und sein Land für ausländische Händler öffnen. Der Traum von einem unabhängigen arabischen Großstaat war zerplatzt.
Die Europäer hingegen konnten beginnen, die Filetstücke aus dem maroden Osmanischen Reich zu reißen – und leiteten für die arabische Welt damit eine Zeitenwende ein: Auf die Fremdherrschaft der muslimischen Osmanen folgte die Ausbeutung durch christliche Kolonialherren.
Kollision der Kulturen
1798 marschierte die Orientarmee
unter Napoleon Bonaparte in Ägypten ein.
Die französische »Expedition« weckte das Interesse
der europäischen Mächte am Nahen Osten.
Von Eva-Maria Schnurr
Die Franzosen haben sich wirklich Mühe gegeben. Haben Flaggen mit dem türkischen Halbmond neben der Trikolore gehisst, Soldaten in Revolutionsuniformen defilieren lassen und ein Feuerwerk abgebrannt. Und sie haben nicht nur einen großen Triumphbogen errichtet, um ihren Sieg zu feiern, sondern als Zeichen der Toleranz auch noch einen kleinen mit dem islamischen Glaubensbekenntnis der Besiegten.
Bei dem Fest am 22. September 1798 in Kairo war jeder Programmpunkt ein Symbol. Anfang Juli war die französische Orientarmee unter General Napoleon Bonaparte in Ägypten einmarschiert, hatte die einheimischen Truppen in der »Schlacht bei den Pyramiden« geschlagen und die Hauptstadt eingenommen. Nun sollte die Inszenierung auf dem Asbakija-Platz den Ägyptern die französische Herrschaft schmackhaft machen. »Der Geist der Freiheit, der die Republik seit ihrer Entstehung zur Schiedsrichterin Europas gemacht hat, weitet sich jetzt auf die entferntesten Länder aus«, pries General Bonaparte seinen Eroberungszug.
Doch in Ägypten wusste kaum jemand von der Französischen Revolution, die Europa neun Jahre zuvor aufgewühlt
hatte, und erst recht nicht von den politischen Ideen der Franzosen. Niemand habe verstanden, worum es bei dem Fest in Kairo eigentlich ging, schrieb der
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