Die neue arabische Welt
hat die Herausforderung
von Wüstenklima, Felslandschaft und fremder Kultur noch viele waghalsige Extremtouristen angelockt.
In seiner Gründlichkeit und Unvoreingenommenheit aber ist Niebuhr nur von wenigen übertroffen worden. »Die Einwohner der Provinz Jemen oder des südlichen Teils von Arabien, welchen die Europäer gemeiniglich das glückliche Arabien zu nennen pflegen, waren schon in den allerältesten Zeiten gesittet und wegen ihres Handels mit den Auswärtigen berühmt« – von diesem ersten Satz seines Reiseberichts an ließ er respektvolle Sachlichkeit walten. »Ich war zufrieden, dass ich die Araber ebenso menschlich fand als andere gesittete Nationen«, schrieb Niebuhr anderswo; entsprechend historisch-objektiv lesen sich bis heute seine Urteile. Erst das imperiale 19. Jahrhundert, das die Welt in koloniale Interessensphären aufteilte, projizierte dann auf Arabien jenes widersprüchliche Gemisch aus der Magie von »Tausendundeine Nacht«, Haremsphantasien und den Schrecken grausamer Despotie, das westliche Orientvorstellungen bis heute in Bann hält.
TEIL III
KOLONIALMÄCHTE
Glitzernde Fassade
Die Osmanen eroberten im 16. Jahrhundert
fast die ganze arabische Welt. Doch das Riesenreich
war von Konstantinopel aus schwer zu regieren.
Immer wieder lehnten sich die Provinzen
gegen den türkischen Sultan auf.
Von Christoph Gunkel
Die hohen Offiziere nahmen kein Blatt vor den Mund. »Dein Sohn Ahmed«, sagten sie dem vom Alter gezeichneten Sultan Bayezid II. ins Gesicht, »gleicht ganz dir und ist nichts als ein Taugenichts auf Erden: Er hat keinen Mumm und ist dem Kriege abhold, fett und kugelrund mit seinem angemästeten Wanst.« Das Osmanische Reich, so fuhren die Militärs nach dem Bericht eines Chronisten fort, brauche einen anderen Nachfolger als Ahmed, »einen feurigen, tatkräftigen und blutdürstigen Mann ... der mit männlichem Mute Großes und Denkwürdiges unternimmt«. Dieser Mann solle Bayezids Sohn Selim sein.
Der greise Sultan wehrte sich gegen die Bevormundung. Sein Leben lang war er ein friedfertiger Herrscher gewesen. Er wusste, dass der ehrgeizige Selim, der sogar einmal Krieg gegen ihn geführt hatte, aus einem anderen Holz geschnitzt war. Doch 1512 musste Bayezid schließlich nachgeben und seinem verhassten Sohn den Thron überlassen.
Ein Machtwechsel in Konstantinopel mit dramatischen Folgen, besonders für die ferne arabische Welt. Binnen weniger Jahre sollten eigenständige Sultanate zu tributpflichtigen Provinzen absinken und stolze Metropolen wie
Kairo und Bagdad ihre Unabhängigkeit verlieren. Mit dem Putsch in Konstantinopel begann der politische Abstieg der arabischen Welt. Denn Selim I., Beiname »der Gestrenge«, enttäuschte seine kriegslüsternen Förderer nicht. Erst sicherte er seine Macht im Inneren, ließ all seine Brüder und Söhne bis auf seinen Wunschnachfolger töten und vergiftete angeblich sogar seinen Vater. Dann zog er im Frühjahr 1514 mit 140 000 Mann, der mächtigsten Armee des Orients, gegen den gefährlichsten Nachbarn der Osmanen: das schiitische Perserreich.
Osmanen-Herrscher Bayezid II. (Tuschezeichnung)
Nun zeigte sich die organisatorische und technische Überlegenheit der Angreifer, die ihre Armee frühzeitig mit Musketen und Feldgeschützen modernisiert hatten, die in anderen islamischen Ländern noch als unehrenhaft verpönt waren. Fast mühelos besiegte Selim den persischen Schah Ismail, eroberte weite Landstriche im Euphrat-Raum und rückte in die Hauptstadt Täbris ein. Rastlos wandte er sich kurz danach schon seinem nächsten Gegner zu: dem riesigen Mamlukenreich, das sich über Syrien, Palästina und Ägypten bis ins heutige Saudi-Arabien erstreckte.
Selim griff damit das bedeutendste islamische Reich an, auf dessen Gebiet sich die heiligen Pilgerorte Mekka, Medina, Jerusalem und Hebron befanden. Und die Osmanen überrannten die Mamluken wie zuvor die Perser. In atemraubender Geschwindigkeit eroberten sie 1516 Aleppo und Damaskus, bis sie schon im Januar 1517 vor den Toren Kairos standen. Wieder siegten Selims Soldaten dank der Überlegenheit der modernen Geschütze.
Binnen fünf Jahren hatte der Sultan das Staatsgebiet des Osmanischen Reiches fast verdoppelt und war zum mächtigsten Mann der arabischen Welt aufgestiegen. Er herrschte nun über die fruchtbaren Landstriche am Nil, in der libanesischen Bekaa-Ebene und im palästinensischen Galiläa. Wichtiger noch: Selim durfte sich fortan »Hüter der beiden heiligen
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