Die neue arabische Welt
sehe des Nachts so wenig, erhielt er den Tipp, doch vielleicht mal ein Licht anzuzünden – und alles begann zu lachen. Selbst in arabischem Humor schienen die Fremdlinge sich gut einfühlen zu können.
Völlig sorglos mochten sie sich an Land dennoch nicht bewegen. Man reise »allezeit bewaffnet«, bemerkte Niebuhr, als er im März 1763, zünftig in Turban, Oberrock, Hemd, Hosen und Pantoffeln gekleidet, auf einem Mietesel durch die weite Küstenebene zog. »Mein Eseltreiber, der zugleich mein Wegweiser und Bedienter war und mir zu Fuß folgte, hatte außer seinem breiten Messer vor dem Leibe einen Säbel und einen Schild; andere arme reisende Araber haben statt des Säbels eine kleine Lanze oder ein kleines Beil.« Essbesteck hingegen brauche man auf solchen Touren nicht.
Emsig trugen die fünf Experten Daten und Fakten zusammen, die lange vorhalten sollten – Niebuhrs Jemen-Karte
zum Beispiel blieb für viele Jahrzehnte unerreichter Standard. Aber auch ganz alltägliche Lebensumstände interessierten sie: Bauholz etwa stellte in weiten Teilen des Landes eine Kostbarkeit dar; Trinkwasser für die Stadt Dschidda wurde mühsam mit Lasttieren von den Bergen herangeschafft. Als ein Feuer große Teile der Stadt Bait al-Fakih, Knotenpunkt und wichtiges Quartier der Wissenschaftler, vernichtete, zeigten die Einheimischen erstaunliche Ruhe: »Man hörte kein Heulen und Schreien auf den Straßen, und wenn man ihr Schicksal bedauerte, so antworteten sie: Es ist Gottes Wille.«
Viel mehr blieb auch Niebuhr nicht zu sagen, als 1763 kurz nacheinander seine Kollegen von Haven und Forsskål an Malaria starben – beide noch vor dem letzten Ziel der Expedition im Jemen, dem Aufenthalt in der weiter nördlich gelegenen Residenzstadt Sanaa. Der mächtige Imam hatte in seinem Audienzsaal alle Männer seiner Familie und viele weitere Edle für den Empfang der weitgereisten »Derwische« zusammengerufen und nahm nun huldvoll deren Gruß entgegen. Bald darauf, bei der Stadtbesichtigung, entdeckte Niebuhr weit oben auf dem Kastell der Stadt eine alte deutsche Haubitze mit der Inschrift »Iorg Selos gos mich, 1513«.
Auch diesen kuriosen Fund lässt er unkommentiert. Einfälle und Stimmungen hat der nüchterne Norddeutsche ohnehin kaum je festgehalten; zu wichtig war ihm wissenschaftliche Gründlichkeit, zu gut entwickelt wohl auch seine aufgeklärte Einsicht, dass fremde Sitten keineswegs von sich aus verwerflich seien. Und doch muss ihm die Fortführung seines Tagebuchs immer wieder schwer geworden sein. An Bord des Seglers, der sie von Mokka aus nach Indien bringen sollte, starben nach wenigen Tagen zwei weitere seiner Gefährten: der Bediente Berggren und
der Zeichner Baurenfeind. Lapidar hieß es, nach je einem knappen Lebensresümee: »Beide Leichen wurden in die See geworfen.«
Arabische Tracht im Jemen – vielleicht ein Porträt Niebuhrs (Stich aus seinem Reisebericht)
Mit dem Glück des Standhaften, selbst nur knapp dem Tropenfieber entkommen, erreichte Niebuhr als Einziger des Teams 1767 wieder Kopenhagen. Nachdem er in Bombay auch Cramer hatte sterben sehen, gelangte er allein über Maskat und den Persischen Golf, Bagdad und Mossul ins syrische Aleppo, sah auf einem kurzen Abstecher Jerusalem und reiste dann über Konstantinopel und Warschau auf dem Landweg heim – nicht ohne in Göttingen Station zu machen. Dort nämlich lehrte Johann David Michaelis, der berühmte Alttestamentler und Orientalist, dessen Fragenkatalog die dänische Expedition seinerzeit überhaupt erst in Gang gebracht hatte.
Gewissenhaft machte sich Niebuhr sogleich an die Aufarbeitung der Resultate. Schon 1772 hatte er seine bahnbrechend genaue, mit vielen Kupferstichen angereicherte »Beschreibung von Arabien« fertig, zwei Jahre später den ersten Band seines Reiseberichts. Der fleißige, bedächtige Mann, der seit 1778 als Landschreiber in Meldorf amtierte, war zur Autorität in Sachen Morgenland geworden. Bis weit über seinen Tod 1815 hinaus sollte dieser Ruhm Bestand haben: Noch die Entzifferer der Keilschrift-Monumente von Persepolis konnten die sorgsamen Kopien nutzen, die Niebuhr während eines eiligen Ausflugs angefertigt hatte.
Auf Abenteuer war der vielgeprüfte Forscher niemals aus gewesen – daran wagte sich dann erst der Friese Ulrich Jasper Seetzen, dem es 1809 gelang, als Pilger verkleidet bis nach Medina und in den heiligen Bezirk von Mekka vorzudringen, was kurz darauf auch der Schweizer Jean Louis Burckhardt schaffte. Seither
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