Die neue arabische Welt
Mitte
des 18. Jahrhunderts aus? Der deutsche Forschungsreisende
Carsten Niebuhr ging auf lange,
beschwerliche Expedition – seine Beschreibung
von Arabien setzte Maßstäbe.
Von Johannes Saltzwedel
Ja, auch das Fässchen musste inspiziert werden. Bitten und gute Worte nützten nichts: Schon flog der Deckel auf. Pfui Teufel, welch ein Mief! Skeptisch begannen die Zöllner in der Brühe herumzurühren, bis das Tönnlein auch noch umfiel. Sogleich verbreitete sich überall »Gestank von verdorbenen Fischen und Branntwein« – kein guter Start für einen Forschungsaufenthalt in Mokka, der bedeutenden Hafenstadt im Südwesten des Jemen.
Dabei hatte der junge Biologe Peter Forsskål nur ein paar ungewöhnliche Fische aus dem Roten Meer mitnehmen wollen, in Alkohol konserviert. Jetzt wurden er und die Reisegefährten argwöhnisch beäugt. Branntwein und Verfaultes, hier unter reinlichen Muslimen? Eine besondere Flasche enthielt gar tote Schlangen in Spiritus. Begreiflich, dass die Ordnungshüter nach solchen Entdeckungen nicht einmal das Bettzeug der dubiosen Gäste aus dem fernen Europa ungeprüft herausrücken wollten.
Erst ein »ansehnliches Geschenk« von 50 Dukaten habe nach mehreren Tagen das Misstrauen beschwichtigt, protokollierte Forsskåls Kollege, der Mathematiker Carsten Niebuhr, ein Bauernsohn aus Lüdingworth im Land Hadeln
nahe der Elbmündung. Er tat es ohne beleidigten Unterton: Schließlich hatten die jungen Wissenschaftler – neben Forsskål und Niebuhr der Sprachkundler von Haven, der Arzt Cramer und der Zeichner Baurenfeind, dazu der Diener Berggren – schon so viel im Orient erlebt, dass kleinere Zwischenfälle sie nicht mehr nervös machten.
Vor mehr als zwei Jahren war die bestens ausgestattete Expedition im Auftrag der dänischen Krone abgesegelt, war durch das Mittelmeer über Konstantinopel bis Kairo gekommen. Nach längerem Aufenthalt dort hatte man nun, im Frühjahr 1763, damit begonnen, die legendäre, aber weiterhin fast unbekannte Region im Süden der Arabischen Halbinsel, »Arabia felix«, zu erkunden.
Araber »lieben die Freiheit und wenige Worte«, so viel war ihnen schon klar. Aufgeschlossen für die Landessitten und meist in ortsüblicher Kleidung, hatten sie, von Dschidda kommend, den nördlichen Teil der jemenitischen Küstenebene durchstreift, hatten Klima, Vegetation und Altertümer in Wort und Bild festgehalten und dabei manchmal beinah rührende Gastfreundschaft erfahren.
Vom Zeltbau (»gemeiniglich sieben oder neun Stäbe«) und dem kaum vorhandenen Mobiliar (»Ein rundes Stück Leder ist der Araber Tischtuch«) bis hin zum komplexen Nebeneinander vieler Stämme und Regionalherrscher wussten die Forscher inzwischen ganz gut Bescheid. Islamische Feste konnte der versierte Astronom Niebuhr kalendarisch sogar besser vorausberechnen als die Einheimischen.
Besonders faszinierten ihn die vielen verschiedenen Kopfbedeckungen der Morgenländer. Kawuk, Turban, der mit Laken und Lammfell überzogene Kalpak oder der kleinere Fez, das waren offenbar nur wenige Haupttypen in einer fast unüberschaubaren Fülle. An die 50 Varianten sammelte und beschrieb Niebuhr genauer. Frauen seien
»ebenso viel, wo nicht mehr« auf ein modisches Äußeres bedacht als in Europa. Unübersehbar sei jedoch, dass der Gesichtsschleier für Musliminnen in der Öffentlichkeit das wichtigste Kleidungsstück darstelle: »Ein Engländer überraschte einmal eine Frauensperson, die sich bei Basra im Euphrat badete, und diese hielt nur die Hände vor das Gesicht, ohne sich darum zu bekümmern, was der Fremde sonst sehen möchte.«
Arabische Kopfbedeckungen (Stich aus Niebuhrs Reisebeschreibung)
Am liebsten machten die neugierigen Europäer möglichst unauffällig ihre Beobachtungen. Während der Fahrt durch das Rote Meer nach Dschidda freilich hatte Niebuhr auf dem engen Schiffsdeck keine Wahl: Eine Sonnenfinsternis war angekündigt; nun wollten auch Kapitän und Kaufleute durch die rußgeschwärzten Gläser blicken. Als das Himmelsschauspiel eintrat, waren die umstehenden Araber »darüber sehr vergnügt« – und schlossen aufgrund ihrer eigenen Wissenschaftstraditionen, die astronomisch beschlagene Abordnung aus der Ferne sei wohl eine Gruppe exzellenter Ärzte. »Alle schienen auf einmal krank zu werden«, bemerkte Niebuhr schmunzelnd. Forsskål, eigentlich Arabist und Botaniker, gab harmlose Ratschläge wie »mehr oder weniger zu schlafen und bessere Diät zu halten«. Als einer klagte, er
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