Die neue arabische Welt
Jahre sind die blutigsten Beispiele einer langen Geschichte von Täuschungen und Enttäuschungen in der arabischen Welt.
Nichts davon ist vergessen. Wenn ein saudischer Ölminister heute eine Opec-Konferenz besucht, dann wird ihm unweigerlich in Erinnerung gerufen, dass der libysche Kollege einen Machthaber vertritt, der 1975 aller Wahrscheinlichkeit nach seinen legendären Vorgänger Ahmed Saki al-Jamani mit dem Tode bedroht hat. Muammar al-Gaddafi war damals nach Aussage eines der beteiligten Terroristen der Strippenzieher des Überfalls auf die Ölminister-Runde in Wien, der Terrorist Carlos führte die Aktion aus. Jamani sollte eigentlich sterben, nur der Einfluss Algeriens verhinderte die Exekution.
Kein Zweifel, die Opec ist ein bloßes Zweckbündnis, eine Gemeinschaft von Staaten, deren Volkswirtschaften ganz und gar auf ein Exportgut fixiert sind. Sie verfügen über ungeheure Bodenschätze, gleichwohl herrschen in diesen Ländern meist Misswirtschaft und Unfreiheit – oder vielleicht gerade deshalb?
Als »Fluch der Ressourcen« bezeichnen Ökonomen dieses Phänomen. Wenn heute die Menschen in den Ländern Arabiens auf die Straße gehen, dann gilt ihr Protest auch dieser Paradoxie: Ihnen allen könnte es so ungemein gut gehen, doch nur eine neureiche Clique von Prinzen und Geschäftsleuten profitiert von den Öleinnahmen.
Wer den Ursprung dieser fatalen Entwicklung sucht, muss etwa acht Jahrzehnte zurückgehen. Anfang der dreißiger Jahre gehörte die Arabische Halbinsel zu den ärmsten Regionen der Welt. Ibn Saud, der Gründer Saudi-Arabiens, konnte das gesamte Staatsvermögen in den Satteltaschen eines Kamels unterbringen, hieß es damals. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise waren bis in die Wüste zu spüren, die Ströme der Mekka-Pilger dünnten aus. Ibn Saud brauchte dringend Geld. Eigentlich mochte er keine Ausländer an die vermuteten Bodenschätze heranlassen, und überhaupt interessierte ihn mehr die Suche nach Wasser als nach Öl.
Doch der klamme König hatte keine Wahl. Er verkaufte der Standard Oil of California 1933 eine Konzession für ein Gebiet, größer als ein Viertel des Königreichs. Die Amerikaner gewährten ihm dafür einen Kredit über insgesamt 50 000 Pfund in Gold (am Goldpreis gemessen heute etwa elf Millionen Euro) sowie eine Zahlung von gerade mal 5000 Pfund jährlich. Im Erfolgsfall, wenn also Öl entdeckt würde, waren weitere 100 000 Pfund fällig. Fünf Jahre später stießen die Ingenieure an Bohrloch Nummer sieben bei Dammam, an der Westküste des Persischen Golfs, tatsächlich auf Öl. Bis heute gehört es in die Kategorie der »Elefanten«, der größten Felder der Erde.
Die größten Ölförderländer der Arabischen Liga
Rund 400 Kilometer nördlich plagten zur selben Zeit den Emir von Kuwait, Scheich Ahmed, ähnliche Finanzsorgen. Der Handel mit Perlen lag am Boden, seit Zuchtexemplare aus Japan den Weltmarkt überschwemmten. Also verkaufte der Emir Ölkonzessionen an Gulf Oil und die Anglo-Persian Oil Company. Die Briten entdeckten 1938 Burgan, ebenfalls ein Elefanten-Feld, aus dem noch heute Öl fließt.
Die neuen Quellen am Golf ergänzten nicht nur die alten Fördergebiete in den USA oder Lateinamerika, sie übertrafen sie sogar. Mit ihrer überragenden Ergiebigkeit schufen die Araber die Basis, um die steigende Ölnachfrage im Westen zu bedienen, sie machten den Aufschwung der Weltwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt erst möglich.
US-Präsident Franklin D. Roosevelt äußerte anfangs noch Zweifel, ob der Nahe Osten tatsächlich als Nachschubbasis geeignet sei, »Saudi-Arabien liegt für uns ein bisschen sehr weit weg«, meinte er noch 1943. Doch bald war auch ihm die Bedeutung klar, die das Öl für den weiteren Fortgang der Weltgeschichte spielen sollte – und welch überragende Rolle dabei der Golfregion zukam. Im Weißen Haus skizzierte Roosevelt dem britischen Botschafter Lord Halifax auf einem Blatt Papier, wer den Rohstoff kontrollieren sollte: »Das persische Öl gehört Ihnen. Das Öl im Irak und in Kuwait teilen wir uns. Und was das saudische Öl betrifft, das gehört uns.«
Diese unverblümt neokoloniale Haltung rief den Unmut der Förderstaaten hervor. Bis dahin hatten sie praktisch keinen Einfluss auf ihre eigenen Bodenschätze, das Öl stand unter Kontrolle der »Sieben Schwestern«, Unternehmen wie Chevron, Shell oder Anglo-Persian, die spätere BP, die es an die Oberfläche pumpten, es transportierten, raffinierten und
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