Die neue arabische Welt
erinnerte ihn daran, dass Ben-Gurion 1948 mit der Gründung Israels, mit Flucht und Vertreibung, die größte Katastrophe in der Geschichte der Palästinenser ausgelöst hatte.
»Ich würde mich freuen, als palästinensischer Ben-Gurion im Gedächtnis zu bleiben«, erwiderte Fajad. Von ihm habe er die Taktik gelernt, die er jetzt anwende: erst die Fundamente des Staates legen und dann die Unabhängigkeit ausrufen. Im September sollte es so weit sein – vielleicht aber auch ein bisschen später.
Der Fluch des Öls
Bodenschätze verhalfen vielen arabischen Staaten
zu märchenhaftem Reichtum. Doch die Petrodollars
erzeugten nicht breiten Wohlstand, sondern
beförderten Unfreiheit und Misswirtschaft.
Von Alexander Jung
Wenn sich die Ölminister der Opec-Staaten zu ihrer halbjährlichen Sitzung in Wien treffen, läuft ein sonderbares Ritual ab. Am Morgen, kurz nach zehn, stürmt eine Hundertschaft Journalisten in den Konferenzsaal und hält den Exzellenzen Mikrofone vor die Nase. Die Herren reden ein paar Worte, sagen aber natürlich nichts, einige lächeln leicht angewidert, andere fühlen sich geschmeichelt ob ihrer offensichtlichen Bedeutung. Nach zehn Minuten ist der Rummel vorbei. Die Medienmeute zieht sich zurück, die Türen werden geschlossen.
Einige Stunden später tritt der Generalsekretär der »Organisation erdölexportierender Länder« (Opec) aus dem Raum und erklärt, wozu sich die Minister durchgerungen haben. In den vergangenen Jahren fiel Abdullah Salim al-Badri diese Aufgabe zu. Der Libyer weiß, wie schwer seine Worte wiegen, und formuliert Sätze wie: »Wir wollen weder einen zu hohen noch einen zu niedrigen Ölpreis«, bevor er zur Sache kommt. Dann verkündet al-Badri, um wie viel Hunderttausend Barrel (ein Barrel = 159 Liter) am Tag die Opec-Staaten die Förderung von Erdöl erhöhen oder drosseln wollen. Eine Sekunde später geht die magische Zahl um die Welt und bewegt die Märkte von New York bis Shanghai.
Nirgends wird die Macht der Opec sichtbarer als bei solchen Treffen. Die zwölf Minister sitzen scheinbar gleichberechtigt in alphabetischer Reihenfolge nebeneinander, doch nur wenige haben hier wirklich das Sagen: allen voran der saudi-arabische Ölminister, daneben seine Kollegen aus Kuwait, Irak, Libyen, Katar und aus den Vereinigten Arabischen Emiraten – kurzum: die Vertreter der arabischen Welt.
Diese sechs Staaten exportieren ein Drittel des weltweit verbrauchten Erdöls. Sie verfügen über Lagerstätten, die vergleichsweise leicht auszubeuten sind, der Rohstoff ist von guter Qualität. Was noch wichtiger ist: Sie sind gesegnet mit den bei Weitem größten Reserven, welche die Erde zu bieten hat. Saudi Aramco, die staatliche Gesellschaft Saudi-Arabiens, verfügt nach eigenen Angaben über Vorkommen von rund 260 Milliarden Barrel, heutiger Wert: rund 30 Billionen Dollar. ExxonMobil, der größte private Energiekonzern, hat gerade mal 8,9 Milliarden Barrel in der Hinterhand.
Die Araber werden also noch Öl verkaufen, wenn die Fördertürme am Golf von Mexiko oder in der Nordsee längst verrostet sind. Der Anteil der globalen Reserven, die sie kontrollieren, wird von Jahr zu Jahr automatisch immer größer, weil der der anderen schrumpft: Sie haben das Öl und damit die Macht.
Solange die Verbraucherländer abhängig sind von dem schwarzglänzenden Rohstoff, bestimmen die Potentaten am Persischen Golf, mit welchen Energiekosten die mobile Gesellschaft und die industrielle Wirtschaft kalkulieren müssen. Sie entscheiden zu einem nicht unerheblichen Teil über den Wohlstand der Welt – und nicht zuletzt über ihren eigenen. Im Jahr 2011 werden die Opec-Staaten aller Voraussicht nach Rekordeinnahmen verbuchen, dank hoher
Preise und wachsender Produktion fließen die Petrodollars so üppig wie noch nie. Das Kartell der Exporteure kann nach Schätzung der Internationalen Energieagentur erstmals die Billionenmarke knacken. 2002 verdienten sie mit rund 190 Milliarden Dollar nicht einmal ein Fünftel davon.
Diese gemeinsame Einnahmequelle bedeutet freilich nicht, dass sich die Förderstaaten untereinander besonders gewogen sind. Im Gegenteil: Wenn die Ölminister in der Wiener Runde sitzen, dann treffen auf neutralem österreichischem Boden Männer aufeinander, die mitunter eine erbitterte Feindschaft verbindet. Der Krieg zwischen Iran und Irak in den achtziger Jahren mit Millionen von Opfern sowie die Besetzung des Emirats Kuwait durch den Irak Anfang der neunziger
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