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Die neue arabische Welt

Die neue arabische Welt

Titel: Die neue arabische Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Großbongardt
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schließlich an der Tankstelle verkauften; sie kontrollierten alle Glieder innerhalb der Wertschöpfungskette.
    Den Arabern war allerdings nicht entgangen, dass zur selben Zeit die venezolanische Regierung gegenüber den Amerikanern mutig Ansprüche erhoben hatte. Am Ende stand ein neues Abkommen, das Ergebnis kam einer Revolution gleich. Die Vereinbarung sah eine hälftige Teilung der Öleinnahmen vor. 50 zu 50, diese Formel konnte der Westen nun auch den Arabern nicht mehr verweigern, zu groß war das Verlangen nach dem Treibstoff. Großbritannien werde kaum einen adäquaten Lebensstandard erreichen »ohne den Nahen Osten und sein Öl«, räumte der britische Außenminister Ernest Bevin damals ein.
    Je stärker der Energiehunger wuchs, umso mehr verschob sich die Macht von den Abnehmerstaaten zu den Produzentenländern. Die Araber emanzipierten sich in dem Maße, wie sie ihren globalen Marktanteil vergrößerten. Von 1948 bis 1972 versechzehnfachte sich der Ausstoß im Nahen Osten: von 1,1 Millionen Barrel am Tag auf 18,2 Millionen Barrel; gleichzeitig verfünffachte sich der globale Energieverbrauch. Entsprechend sank der Anteil, den westliche
Quellen zur Versorgung beisteuerten. In Saudi-Arabien, Kuwait oder im Irak reifte das Bewusstsein darüber, welch mächtiges Instrument man doch in der Hand hielt. »Erdöl ist die schärfste Waffe, welche die Araber haben«, erklärte der saudische Ölminister Abdullah Tariki. Um dieser Waffe Schlagkraft zu verleihen, musste man allerdings gemeinsam vorgehen.
    Das war die Geburtsstunde der Opec. Ihre Gründer versprachen sich davon, wirkungsvoll Einfluss auf die Preise zu nehmen. Auf geradezu brutale Weise tat dies die Organisation 1973, als sechs Golf-Produzentenstaaten nach Ausbruch des Jom-Kippur-Kriegs zwischen Ägypten, Syrien und Israel den Preis pro Barrel kurzerhand fast verdoppelten, von 2,90 auf 5,11 Dollar, und zugleich die Produktion um fünf Prozent drosselten. »Für die Konsumentenstaaten schien es, als hätte sich das Tor zur Hölle aufgetan«, beschreiben heute die Opec-Experten Jan Martin Witte und Andreas Goldthau den Schock über den Einsatz der Ölwaffe.
    »Ihr werdet alles verlieren«, prophezeite der saudische König Faisal den westlichen Ölfirmen und beantwortete damit die Kernfrage jener Tage: Wem gehört eigentlich das Öl? Die Förderländer gaben eine klare Antwort: Sie verstaatlichten die Ölindustrien. Für westliche Unternehmen verschlechterten sich die Bedingungen zusehends, ein immer größerer Teil der Erträge verblieb in den Kassen der Verkäufer. Die staatlichen Ölgesellschaften übernahmen die Regie am Bohrloch.
    Es war eine außergewöhnliche Entwicklung, die da ihren Lauf nahm: Jede andere Industrie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten globalisiert, nur die Ölbranche ist den umgekehrten Weg gegangen. Das ökonomische Kraftfeld hat sich zu den Produzentennationen hin bewegt, zu autoritären Regimen mit unberechenbaren Führern.

    So zog der junge Oberst Gaddafi ganz neue Saiten auf, nachdem er 1969 die Macht in Libyen übernommen hatte. Geschickt spielte er die westlichen Firmen gegeneinander aus, die besonders begierig auf den Bodenschatz aus dem Wüstenstaat waren: Das libysche Öl zeichnet sich dadurch aus, dass es süß ist, wie die Ingenieure sagen, also leicht und schwefelarm.
    In der Folge erlebten die Opec-Staaten ihr goldenes Zeitalter. Die Einnahmen der Ölexporteure versechsfachten sich zwischen 1972 und 1977. Sie gewöhnten sich an die Macht und den Wohlstand, den ihnen ihre Bodenschätze ermöglichten. »Sie schickten sich an, die neuen Bankiers der Welt zu werden«, so der amerikanische Ölexperte Daniel Yergin. Sie wurden umworben und verwöhnt, aber auch satt und träge. Der Ressourcenfluch begann seine Wirkung zu entfalten.
    Denn bald erfuhren die Produzenten eine schmerzhafte Lektion: Ihre Kunden setzten alles daran, eigene Förderprojekte zu entwickeln, in Alaska, im Golf von Mexiko oder in der Nordsee. Die Kohle erlebte ein Comeback, auch die Gasförderung wurde forciert. »Projekt Unabhängigkeit« nannte schon US-Präsident Richard Nixon den neuen Kurs. Sein Außenminister Henry Kissinger kam zu der berühmten Erkenntnis, die Ressource Öl sei »zu wichtig, um sie den Arabern zu überlassen«.
    Nun ertrank die Welt förmlich in Öl. Die Preise fielen ins Bodenlose, sie bewegten sich Mitte der achtziger Jahre kurzzeitig unterhalb der Zehn-Dollar-Marke. Verantwortlich dafür war aber nicht nur die schwächere

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