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Die neue arabische Welt

Die neue arabische Welt

Titel: Die neue arabische Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Großbongardt
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Raketen, die angeblich mit Hilfe deutscher Ingenieure konstruiert worden waren, transportierten, so wurde verbreitet, Gas zur Massenvernichtung. Viele Israelis fühlten sich hilflos, gepackt von der Angst vor einem neuen Holocaust.
    Heute hegen viele ähnliche Gefühle wegen der Bedrohung durch die potentielle Atommacht Iran. Die Erinnerung an die Schoa brachte Ben-Gurion zu der Erkenntnis, dass Israel ein eigenes Atomprogramm brauchte. Die Vernichtungsangst vor Iran könnte Israel zu einem Präventivschlag veranlassen, wie das Holocaust-Trauma 1967 maßgebend zur Entscheidung für den Angriff auf Ägypten beitrug.
    Doch der Kern der Geschichte blieb immer der Wettlauf um die Herrschaft über Palästina. Die Verwaltungshoheit
über die Palästinensergebiete im Westjordanland und Ost-Jerusalem hatte Israel errungen, aber sie hat seinen existentiellen Interessen nicht genutzt, sondern geschadet. Die Wellen der Gewalt, die seit 1967 immer wieder über das Land tobten, kosteten Tausende Israelis und Palästinenser das Leben. Die anhaltende Verletzung palästinensischer Menschenrechte beschädigte auch die Demokratie in Israel. Und die Demografie folgt ihrer eigenen Dynamik: Die Araber sind dabei, sich von einer Minderheit zur Mehrheit zu entwickeln.
    Irgendwann hat die israelische Regierung eine Haltung übernommen, die früher nur in der extremen Linken angesiedelt war: Im Rahmen eines Friedensvertrags soll auf dem größten Teil des Westjordanlandes und im GazaStreifen ein unabhängiger Palästinenserstaat entstehen. In manchen Verhandlungen mit den Palästinensern wurde sogar eine geteilte Verwaltung Jerusalems erwogen. Dem Anschein nach ist das eine historische Wende, aber die meisten Israelis reagieren gleichgültig – weil sie ohnehin nicht mehr an einen Frieden mit den Palästinensern glauben. Dahinter steckt die Enttäuschung über den Fehlschlag früherer Abkommen zwischen Israel und den Palästinensern, der palästinensische Terror und die Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen.
    Gut möglich, dass sie recht haben. Derzeit ist kaum abzusehen, wie ein Abkommen erreicht werden könnte, das die Evakuierung Hunderttausender Israelis aus ihren Wohnungen im Westjordanland, die Lösung des palästinensischen Flüchtlingsproblems und – vor allem – die geteilte Verwaltung Jerusalems vorsehen würde. Aber das eigentliche Problem auf dem Weg zur Einigung liegt tiefer in der Geschichte dieses Konflikts verborgen. Nicht Meinungsverschiedenheiten über Grenzen, Gebiete, Wasser
oder sogar Sicherheit verhindern die Lösung, sondern der Umstand, dass beide Seiten ihre nationale Identität über das Land definieren, und zwar das ganze. Ein Kompromiss über das Land würde sie zwingen, auch einen Kompromiss in ihrer jeweiligen Identität einzugehen. Wie es aussieht, hat keiner der Beteiligten die nötige Reife dafür erlangt.
    Die Umwälzungen, die derzeit den Nahen Osten bewegen, könnten auch Jordanien spürbar erfassen, und wenn das Königshaus stürzte und die Regierung an die palästinensische Bevölkerungsmehrheit überginge, könnte man Jordanien vielleicht mit dem Westjordanland vereinigen, was einen Frieden zwischen Palästinensern und Israelis erleichtern könnte – doch das sind bisher nur Planspiele. In Ramallah, der provisorischen Hauptstadt der Palästinenser, denkt man vorerst weiter nur an Unabhängigkeit in einem Teil des Landes.
    Vor Kurzem sprach ich darüber mit Salam Fajad, der bereits den Titel eines palästinensischen Premierministers trägt. Der 60-Jährige hat in den USA Wirtschaftswissenschaften studiert, er setzt mehr auf Wirtschaft als auf Politik. Gestützt auf palästinensische Sicherheitskräfte, die unter amerikanischer Schirmherrschaft arbeiten, schafft er Arbeitsplätze, errichtet ein Verwaltungssystem, baut Schulen und Straßen. Seit den Zeiten, in denen die ersten Zionisten im Land Israel landeten, suchten sie – meist vergebens – palästinensische Araber, die wirtschaftliche Erwägungen über ihre nationalen Ambitionen stellten. In dieser Hinsicht sieht Israel in Fajad einen idealen Palästinenser. Er meint, die Israelis täuschten sich in ihm ebenso, wie sie sich seit je getäuscht hätten. Er sei nicht weniger nationalbewegt als jeder andere Palästinenser, er beschreite nur einen anderen Weg, sagte er.

    Wäre er beleidigt, wenn ich seine Anstrengungen mit denen Ben-Gurions zur Zeit des britischen Mandats vergleichen würde, fragte ich. Warum denn?, antwortete Fajad. Ich

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