Die neue arabische Welt
verschlossenen
Jungen. Er liest Biografien über Alexander den Großen und Napoleon.
Schon als Zwölfjähriger nimmt er an Demonstrationen gegen die Briten teil, die Ägypten immer noch wie ein Protektorat beherrschen. Mit 19 Jahren tritt er in die Militärakademie ein. Dort vertieft er seine Geschichtskenntnisse mit der Lektüre von Biografien Otto von Bismarcks, Winston Churchills und des türkischen Modernisierers Kemal Atatürk. Sein Feindbild festigt Nasser als Soldat im arabisch-israelischen Krieg 1948. Die Niederlage der Araber erlebt er, schwer verwundet, als demütigend.
Ägypten wird zu der Zeit von König Faruk I. regiert. Im korrupten Regime des Lebemannes sieht Nasser, der schon in den Schützengräben der Sinai-Wüste mit seinen Kameraden über politische Alternativen diskutiert hat, das entscheidende Problem seiner Heimat. Er gründet eine konspirative Organisation, die »Freien Offiziere«, und sammelt an die 1000 ägyptische Patrioten.
Am 22. Juli 1952 gibt der Oberst die Parole »Sieg« aus – das Signal zum Losschlagen. In den frühen Morgenstunden des folgenden Tages schwärmen die Umstürzler in Kairo aus, sie besetzen die Schaltstellen in der Hauptstadt, den Rundfunk. Von dort verkündet der 33-jährige Offizier Anwar al-Sadat: »Ägypter, euer Land durchlebt den herrlichsten Augenblick seiner Geschichte.«
Doch die romantische Revolutionsstimmung verfliegt rasch. Der gestürzte König Faruk darf mit seiner Yacht »Mahrussa« ins Exil nach Neapel dampfen. Seine Münz- und Briefmarkensammlung werden Volkseigentum. Die Brillanten und Porno-Bildchen des Herrschers dürfen Journalisten im Königspalast bestaunen.
Schwieriger wird die Bestandsaufnahme des Landes. Für anderthalb Jahre fungiert ein biederer General als Galionsfigur
des Revolutionsrates, dann übernimmt Nasser. Der Putschist »mit dem entwaffnenden Grinsen eines Schuljungen« (»Time«) wird 1954 Premierminister.
Sein Buch »Die Philosophie der Revolution«, das im selben Jahr erscheint, enthält seine Vision: Die Führungsrolle Ägyptens nicht nur in der arabischen, sondern auch der afrikanischen, der ganzen islamischen Welt. Nasser ist entschlossen, mit seinem Volk »die fortschreitende Karawane der Menschheit wieder einzuholen, hinter der wir vor fünf Jahrhunderten oder länger zurückgeblieben waren«.
Das Land leidet unter Massenarmut und Analphabetismus, der junge Revolutionär wagt radikale Schritte: Er lässt Gutsbesitzerland an Bauern verteilen und setzt Mindestlöhne fest. Das neue Regime führt die Schulpflicht ein, baut Krankenhäuser und schickt Ärzte aufs Land. Söhne und auch Töchter einfacher Bauern können nun erstmals studieren.
Möglich wird dies unter einem modernen, säkularen Staatschef, der mit Simone de Beauvoir über die Gleichberechtigung der Frau diskutiert und mit Ernesto Che Guevara über die soziale Revolution. Doch es gibt auch eine Kehrseite. Von Anfang an setzt Nasser nicht auf Demokratie, sondern auf eine autoritäre Herrschaft. Die westlichen Demokratien sind für ihn Regime der Ausbeutung und des Kolonialismus, er will einen arabischen Sonderweg. In einer Art Erziehungsdiktatur will er die Ägypter in die Zukunft zwingen.
Das heißt auch: Alle Parteien werden verboten, Nasser lässt Rundfunk und Presse zensieren. Armeeoffiziere leiten Handelsfirmen und sogar Theater. So entsteht die bis heute anhaltende Macht des ägyptischen Militärs. In seinem Misstrauen gegenüber politischen Institutionen setzt der Staatschef auf eine mächtige Geheimpolizei. Die bespitzelt
und drangsaliert diskussionsfreudige Intellektuelle, selbst Schriftsteller, die mit der Revolution sympathisieren.
Doch diese Schattenseiten seines Regimes kompensiert der Staatsführer durch einen Schritt, der ihn zum Nationalhelden macht. Im Juli 1956 proklamiert er vor jubelnden Massen die Verstaatlichung des Suezkanals, an dem britische Unternehmen über 40 Prozent der Anteile halten. »Ihr seid alle Gamal Abd al-Nasser«, ruft er seinen Anhängern zu. Um sich die Kontrolle über den Kanal zurückzuholen, fallen Ende Oktober 1956 britische, französische und israelische Truppen in Ägypten ein. Nasser gibt die Parole aus: »Niemand wird kapitulieren.« Unter dem Druck der Vereinigten Staaten und der Uno müssen die Invasoren schließlich wieder abziehen.
Bundesgenossen für seinen Kurs einer »positiven Neutralität« sucht Nasser ab 1955 in der Bewegung der Block-freien. Nasser wird einer ihrer Wortführer, neben
Weitere Kostenlose Bücher