Die neue arabische Welt
Jugoslawiens Staatschef Tito und Indiens Premier Nehru.
Gamal Abd al-Nasser (um 1954)
Unermüdlich propagiert Ägyptens Staatschef, seit 1956 Präsident, die »Einheit der ganzen arabischen Nation« – den Panarabismus. Dem »Imperialismus« reicher Länder setzt er die »nationale Würde« der Habenichtse entgegen. Er unterstützt Revolutionäre im Jemen mit Waffen und Soldaten. Ägypter und Syrer vereint er 1958 für drei Jahre in einem Staat, bis die syrische Oberschicht das Experiment aufkündigt.
Die »afrikanisch-asiatische Einheit«, eine Säule seiner Politik, bleibt meist auf Konferenzdelegierte und begeisterte Kundgebungsteilnehmer beschränkt. Der Traum scheitert an eigennützigen Herrschern, die in früheren Kolonialmächten und den USA Alliierte haben.
Nasser dagegen findet Unterstützung bei deren mächtigstem Gegner, der Sowjetunion. Die Sowjets liefern ab 1955 Waffen und empfangen Nasser im April 1958 erstmals im Kreml. Mit Krediten und 5000 Fachleuten sorgen sie für die Fertigstellung des Assuan-Staudamms, dessen Wasser Wüstenland fruchtbar macht.
Ein dankbarer Präsident propagiert den »Sozialismus« nun als »Gesetz der Gerechtigkeit«. Seine Staatspartei heißt jetzt »Arabische Sozialistische Union«. Ab Anfang der sechziger Jahre verstaatlicht er Banken, Versicherungen und den Großhandel. Nasser verspricht ein »neues soziales System und eine neue Kultur«. Weil er vergleichsweise bescheiden lebt, wirkt er glaubhaft für die Menschen, wenn er sagt: »Ich komme aus einer armen Familie und werde arm bleiben bis zum Tod.«
Dabei ist Nasser, seit 1964 »Held der Sowjetunion«, kein Kommunist. Deren Partei bleibt verboten. Und obwohl er sich wegen bundesdeutscher Waffenlieferungen an Israel »von Westdeutschland verraten« fühlt und DDR-Staatschef Walter Ulbricht empfängt, betont er 1965 in einem SPIEGEL-Gespräch, er stehe »dem deutschen Wunsch nach Wiedervereinigung mit großer Sympathie gegenüber«. An DDR-Gesprächspartner richtet er 1961 kurz nach dem Mauerbau die prophetischen Worte, die Deutschen würden sich über ihre Einheit ohne äußeren Druck »innerhalb von fünf Minuten verständigen«.
Die Unterstützung Moskaus braucht Nasser vor allem gegen den Erzfeind Israel. Der greift am 5. Juni 1967 mit seiner
Luftwaffe Ägypten an. Der Sechstagekrieg endet für das Land mit einer Katastrophe. Israelische Bomber vernichten den Großteil der ägyptischen Luftwaffe. Panzerverbände der Israelis besetzen die Sinai-Halbinsel und rücken zum Suez-Kanal vor.
Am Abend des 9. Juni 1967 sehen die Ägypter auf ihren Fernsehschirmen einen niedergeschlagenen Präsidenten. Nasser nimmt die »volle Verantwortung« für die Niederlage auf sich und verkündet seinen Rücktritt. Da bricht ein gewaltiger Lärm aus in Hunderttausenden ägyptischen Wohnungen. »Auch meine Nachbarn fingen an zu schreien, stürmten auf die Straße und riefen ›Nasser, Nasser, lass uns nicht allein‹. Das war von niemandem organisiert«, erinnert sich SPIEGEL-Korrespondent Volkhard Windfuhr, der seit 1955 in Kairo lebt.
So bleibt Nasser, Symbol des arabischen Nationalismus, an der Macht. Doch in seiner Führungsriege vereinsamt er zusehends, viele seiner Kampfgefährten sind längst für eine Annäherung an die USA. Doch die stehen im festen Bund mit Israel, dem »Dolch im Fleisch« der Araber. Deshalb setzt Nasser weiter auf die Sowjetunion, die ein Gegengewicht zur 6. US-Flotte im Mittelmeer schaffen will. Moskau schickt Tausende Militärberater, darunter Luftabwehrexperten. Mehrere von ihnen sterben bei israelischen Luftangriffen.
Mit Parolen von der »Vernichtung« Israels hat es der impulsive Mann seinen Feinden oft leicht gemacht, ihn als Wiedergänger Hitlers zu dämonisieren. Doch dass er als erfahrener Staatsmann das Potential zum Friedensstifter hat, zeigt er im September 1970 als Vermittler im Bürgerkrieg zwischen den Palästinensern und Jordanien.
Ein sichtlich erschöpfter Nasser beendet den arabischen Bruderkampf mit letzter Kraft. Die Niederlage 1967 hat die
Gesundheit des früh ergrauten Kettenrauchers zerrüttet. Er ist verzweifelt. Dass es im Nahost-Konflikt »keine Projekte für eine friedliche Lösung gibt«, konstatiert er im Juli 1968 an der Universität Kairo.
Am 28. September 1970 stirbt der 52-Jährige in seinem Haus in Kairo an den Folgen eines Herzinfarkts. Millionen weinende Ägypter geben Nasser ein letztes Geleit wie nie wieder einem ägyptischen Politiker. Er habe »die Tendenzen
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