Die neue arabische Welt
ägyptischen Gesangs, zu ihren Arien über die großen Gefühle, Liebesleid und Vaterland anhob, fingen bereits die Ersten an zu weinen, manche wurden ohnmächtig.
Mit ihrer unvergleichlichen Stimme, ihrem spannungsgeladenen Vibrato begeisterte die Tochter eines muslimischen
Dorfpredigers aus dem Nildelta über Jahrzehnte die arabische Welt, bis heute, 36 Jahre nach ihrem Tod. Ihr Vater war als Sänger bei Hochzeiten aufgetreten, als er das Talent seiner Tochter erkannte, ließ er sie in Jungenkleidern auf Feiern Koranverse vortragen.
Um 1900 geboren, stieg das junge Stimmwunder Fatima Ibrahim in Kairo in wenigen Jahren zum Superstar auf. »Diese Stimme verzauberte alle«, erinnerte sich der Geschichtsphilosoph Ahmed Lutfi al-Sajjid. »Wir konnten uns nicht satthören.« Zunächst sang sie religiöse Lieder, aber schon bald griff sie auch freimütig Tabuthemen wie leidenschaftliche Liebe und Hingabe auf, die heute von islamistischen Gralshütern schon wieder verteufelt werden. Politisch war »Umm Kulthum«, die »Mutter der rosigen Wangen«, so ein Kosename, nicht festgelegt. In einer Zeit, in der die meisten arabischen Länder von europäischen Kolonialmächten dominiert, teilweise sogar noch besetzt waren, beschwor sie den glühenden Patriotismus, die große Vergangenheit. »König Faruk, mögest du ewig leben«, pries sie Ägyptens Monarchen.
Mit dem Sturz der Monarchie im Sommer 1952 fiel Arabiens erste »Chansonette und Königin des Liedes« (Radio Kairo) zunächst in Ungnade. Hatte sie nicht Loblieder auf den gesungen, den die »Freien Offiziere« um Gamal Abd al-Nasser als Ausgeburt der Korruption zur Abdankung zwangen?
Doch Nasser wollte den Volksliebling für seine Ideologie gewinnen und bat die gefeierte Sängerin höchstpersönlich, das Millionenheer ihrer Anhänger weiterhin zu begeistern – nun für die Revolution. Umm Kulthum stimmte zu und wurde selbst vom revolutionären Elan der neuen Zeit erfasst. »Ich bin das Volk«, sang sie im fortissimo »für uns ist nichts unmöglich.« Ihr Lied »Wallah
saman ja silahi«, »Schon lange vermisse ich dich, meine Waffe«, wurde zur Nationalhymne gekürt. Für Nasser war sie nun »meine Geheimwaffe«, er adelte sie als »Gestirn des Morgenlandes«.
Umm Kulthum sang für die Freiheitskämpfer Algeriens, für die Revolutionäre im Irak, für die Palästinenser und den neuen Geist, der Arabien beflügelte. »Vielleicht von Nasser abgesehen, ist sie die stärkste Verkörperung panarabischen Fühlens«, urteilte die Londoner »Times«. Als die Ägypterin 1975 an einer Nierenentzündung starb, unterbrachen die Rundfunkstationen ihr Programm und sendeten Trauermusik, das letzte Geleit gaben ihr Hunderttausende.
Blutige Agenda
Mit Terror machten die Palästinenser auf
sich aufmerksam, Hisbollah und Hamas steigerten
die Gewaltstrategie. Al-Qaida verübt
weltweit Anschläge, auf die arabischen Aufstände
hat sie aber keinen Einfluss.
Von Yassin Musharbash und Michael Sontheimer
Am 29. August 1969 geht eine auffällig gut aussehende junge Frau in einem weißen Hosenanzug in Rom an Bord einer Maschine der Trans World Airlines nach Tel Aviv. Wenig später wird es ihre Stimme sein, die über die Bordlautsprecher verkündet: »Das Kommando Che Guevara hat die Kontrolle des Flugs übernommen.«
Leila Chalid heißt die Frau, 24 Jahre alt, und sie wird die bekannteste palästinensische Terroristin. Westlichen Journalisten zeigt die Luftpiratin, die mit ihren Komplizen die Maschine zur Landung im befreundeten Syrien zwingt, gern ihre Hand – am Ringfinger trägt sie einen aus einer Patronenhülse gefertigten Ring. »Ich bin mit der Revolution verlobt«, sagt sie.
Die Fotos von ihr, mit einer Kalaschnikow und dem Palästinensertuch um die dunklen Haare, machen sie zur revolutionären Ikone, einer Art weiblichen Che Guevara. Die in Haifa geborene Palästinenserin musste als Kind im Krieg gegen das gerade gegründete Israel mit ihren Eltern aus der Heimatstadt in den Libanon flüchten. Dort blieb die Familie, nach dem Studium in Beirut schloss sich Chalid in Kuwait der »Volksfront für die Befreiung Palästinas« (PFLP) an.
Um unerkannt zu bleiben, unterzieht sie sich mehreren Gesichtsoperationen. Doch beim Versuch, ein gutes Jahr später eine Boeing 707 der israelischen Luftfahrtgesellschaft El Al in ihre Gewalt zu bekommen, scheitert ihr Kommando. Israelische Sicherheitsbeamte erschießen einen Komplizen; sie wird überwältigt und in London inhaftiert,
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