Die neue arabische Welt
»Forbes« schätzt dessen persönliches
Vermögen auf 2,5 Milliarden Dollar, fünfmal so viel wie bei seiner Thronbesteigung. Auch kritisiert Radi, dass die Königsfamilie über eine Holding führende Branchen dominiere. Jetzt »ist die Mauer der Angst gefallen«, freut sich der Theatermacher Jaouad Essounani. Er hatte in den vergangenen zwei Jahren Bloggern wie Chaouki die Bühne seines Dabateatr zur Verfügung gestellt, damit sie das Publikum mit ihren Ideen konfrontieren konnten. »Die Jugend hat die Alarmglocke geläutet«, sagt Essounanis Dramaturg Driss Ksikes, bis 2006 Chefredakteur von »Telquel«.
Und der Palast hat reagiert. Mit seiner Rede, nur 17 Tage nach den ersten landesweiten Demonstrationen, setzte der Herrscher ein starkes Signal. Er stellte eine »tiefgreifende Revision der Verfassung« in Aussicht. Dazu setzte er eine 18-köpfige Kommission von Gelehrten, Vertretern der Zivilgesellschaft und Menschenrechtlern ein.
Marokko soll dezentralisiert, die einzelnen Regionen nicht mehr von »Walis«, die der König ernennt, sondern von gewählten Räten regiert werden. Als wichtigste Änderungen bot der König an, den Premier aus den Reihen der Partei mit dem besten Wahlergebnis zu bestimmen und dem »aus freien und glaubwürdigen« Wahlen hervorgegangenen Parlament mehr Kompetenzen einzuräumen. Die Justiz müsse unabhängig von der Regierung arbeiten. Der Schutz der Menschenrechte bekommt genauso wie Institutionen, die Korruption und Monopole in der Wirtschaft bekämpfen, erstmals Verfassungsrang.
Und die Bürger folgten dem König: Bei der Volksabstimmung am 1. Juli sprachen sich 98,9 Prozent der Wähler für die von Mohammed vorgeschlagenen Verfassungsänderungen aus. Aktivisten der Protestbewegung kritisierten das Referendum, ihnen gehen die Reformen nich weit genug.
Und natürlich zeigte das Attentat von Marrakesch, das zunächst Terroristen der aus Algerien, Mauretanien und Mali operierenden »al-Qaida des islamischen Maghreb« zugeschrieben wurde, die Verletzlichkeit des marokkanischen Demokratisierungsexperiments. Doch erstmals haben sich sowohl in Gefängnissen einsitzende Salafisten wie auch die außerparlamentarische Islamistenbewegung von dem Anschlag distanziert.
Einiges spricht dafür, dass Marokko die friedliche Ausnahme in der Reihe arabischer Umwälzungen sein könnte. Anders als seine Nachbarländer verfügt es über eine seit den achtziger Jahren entstandene Zivilgesellschaft. Gerade auch gegen die schweren Menschenrechtsverletzungen unter Hassan II. hatte sich ein enges Netz von Vereinen und Verbänden geknüpft.
In seinem Büro an der Hauptachse der Wirtschaftsmetropole Casablanca erklärt Saâd Tazi, Chefredakteur der französischsprachigen Tageszeitung »Le Soir«: »Bei uns gibt es seit Jahren jeden Tag Demonstrationen.« Die Bevölkerung sei es gewohnt, mal vor dem Parlament, mal vor den Rathäusern oder Fabriken ihren Unmut auszudrücken. Jetzt verstärke die internationale Aufmerksamkeit die Wirkung. Den Demonstranten vom 20. Februar hatten sich zunächst die Mitglieder der tolerierten islamistischen Bewegung Al Adl Wal Ihsane (»Gerechtigkeit und Wohlfahrt«) angeschlossen. Dann hatte sich auch die äußerste Linke solidarisiert, während die im Parlament vertretenen Parteien allenfalls ihre Jugend mitziehen ließen. Keine Gruppe habe die Oberhand gewonnen, bemerkt Tazi, die Märsche seien ein getreues Abbild der marokkanischen Gesellschaft.
»Wir unterstützen die Jugend vom 20. Februar bedingungslos in ihrem Kampf für die konstitutionelle Monarchie«,
sagt Mohamed Salmi. Der graubärtige Soziologe von der Universität in Kénitra ist Koordinator des Ausschusses für Menschenrechte bei »Gerechtigkeit und Wohlfahrt«. Er versichert, seine Bewegung zöge einen laizistischen Staat, der »Freiheit garantiert und dessen Gesetze sich an Fundamenten des Islam orientieren«, dem gegenwärtigen Regime vor. Gewalt lehne man aber ab, beteuert er beim Treffen in einer Teestube in Rabat.
Der neue Aufbruch in diesem Frühling hat an die Zeit nach der Thronbesteigung Mohammeds VI. angeknüpft. Damals hatte der neue König die Opfer von Menschenrechtsverletzungen entschädigt, Regimegegner rehabilitiert und das Familienrecht zugunsten der Frauen reformiert. Eine von ihm eingesetzte Behörde legte schon 2005 Empfehlungen für eine unabhängige Justiz und eine institutionalisierte Kontrolle der Sicherheitskräfte vor. Jetzt endlich sollen diese Vorschläge in die neue Verfassung
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