Die neue arabische Welt
Kommission repräsentiere nicht das Volk. Wenn die Marokkaner wieder mit einem »Reförmchen« abgespeist würden, fürchtet der Theater-Dramaturg Ksikes, könnte »die Wut auf der Straße unkontrollierbar werden«.
Der engagierte Unternehmer Balafrej ist jedoch zuversichtlich. Zwischen Monarchie und Demokratie müsse es keinen Widerspruch geben, das zeige sich in Dänemark oder den Niederlanden. Auch die Rolle des Königs als Oberhaupt der Gläubigen stelle kein Hindernis dar, wie
in Großbritannien zu beobachten sei. Vielleicht werde nicht sofort eine vollgültige parlamentarische Monarchie funktionieren, räumt Balafrej ein. »Aber über kurz oder lang muss sich auch in Marokko demokratische Gewaltenteilung durchsetzen.«
Showtime am Märtyrerplatz
Im Libanon, einst die »Schweiz des Nahen Ostens«,
kam es schon lange vor dem arabischen Frühling zur
»Zedernrevolution«. Sie blieb unvollendet – warum?
Von Erich Follath
Es ist Valentinstag in Beirut, der 14. Februar 2005, als die Katastrophe geschieht: Vor dem alten St. Georges-Hotel in der Beiruter Innenstadt detoniert um 12.56 Uhr eine Bombe von ungeheurer Sprengkraft, genau in den Moment, in dem die Wagenkolonne des langjährigen Premiers Rafik al-Hariri vorbeifährt. In dem Inferno kommen Hariri und 21 weitere Menschen ums Leben – Mitarbeiter, Leibwächter, Passanten.
Das Attentat auf den Mann, mit dem sich so viele Hoffnungen verbunden haben, versetzt den Libanon in einen Schockzustand. Wie viele politische Morde, wie viele menschliche Tragödien noch soll das Land aushalten – in dieser Region, die schon so oft zum Pulverfass wurde? Zwingt das nicht zur Resignation?
Doch als sich die Starre löst, gehen die Beiruter auf die Straße. Sie fordern Freiheit, vor allem den Abzug der allgegenwärtigen Militärs und Geheimdienstler aus dem Land des großen Bruders Syrien, der den Zedernstaat in einem eisernen Griff der Abhängigkeit und Kontrolle hält und nun als Drahtzieher des Anschlags gilt.
Die Bilder der libanesischen »Zedernrevolution« gehen um die Welt, sie zeigen junge, enthusiastische Libanesen, die Aufbruchstimmung und neues Selbstbewusstsein ausstrahlen.
Es wird ein siegreicher Aufstand – nach wochenlangem Kräftemessen gibt Damaskus überraschend klein bei, Präsident Baschar al-Assad zieht seine Truppen ab. Saad al-Hariri, Sohn des Ermordeten und in den USA ausgebildeter Betriebswirt, gewinnt mit seiner »Zukunftsallianz« die Wahl, wird Mehrheitsführer im Parlament und später neuer Premier.
Das war der triumphale Sommer 2005, als die Libanesen sich an der Schwelle einer neuen Zeit fühlten. Heute, sechs Jahre später, ist Hariri gescheitert, ein Feldzug Israels hat das Land verwüstet, die extremistische Hisbollah ist stärker denn je. Hält der Libanon eine düstere Vorahnung für den arabischen Frühling in Tunesien, Ägypten und dem Jemen bereit, eine Warnung, dass auch diese Revolutionen scheitern könnten?
Was sich im Zedernstaat ereignet, lässt sich nicht verstehen ohne die Kenntnis der Geschichte. Hier, an der Mittelmeerküste zwischen Tripoli und Tyrus mit der Metropole Beirut, kämpfen schon seit der Antike die gegensätzlichsten Kräfte miteinander – die Levante ist ein Laboratorium für Fortschritt und Modernität wie für Rückwärtsgewandtheit und Selbstzerstörung.
Beiruts Eroberer lesen sich wie ein Who‘s who der Weltgeschichte. Die Ägypter erwähnten die Stadt schon im 14. Jahrhundert vor Christus. Die Phönizier brachten sie zur ersten Blüte. Römer gründeten hier eine der berühmtesten Rechtsschulen; muslimische Araber wurden im Mittelalter von brandschatzenden christlichen Kreuzfahrern abgelöst, bevor Türken in der Neuzeit der Region den Stempel aufdrückten, die französischen Kolonialherren den Libanon schließlich 1943 in die Freiheit entließen. Ein Kleinstaat, halb so groß wie Hessen, keine viereinhalb Millionen Einwohner.
Und ein wunderbares Reiseland. Staunend stand ich Ende der sechziger Jahre als Student in Baalbek vor den Ruinen eines der größten je errichteten römischen Tempel, bewunderte die schicken Wintersportorte in den Schuf-Bergen, bedauerte nur, dass ich mir in den noblen Beirut-Hotels wie dem St. Georges an der Corniche noch nicht einmal einen Kaffee leisten konnte. Die »Schweiz des Nahen Ostens« nannte man den Libanon damals; das bezog sich neben den Skipisten und dem Bankenzentrum auch auf die politische Stabilität des Landes, an dessen Stränden und Pools
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