Die neue arabische Welt
offen!« Der Emir lässt dem Zeternden das Mikrofon abstellen, Gaddafi stürmt aus dem Saal. Mit Mühe gelingt es, ihn wieder einzufangen und einen ganz großen Eklat zu verhindern.
Generalsekretär Mussa schmiedet Kompromisse, wo man eigentlich keine mehr eingehen kann: Im Namen der Liga nimmt er den mutmaßlichen Massenmörder Baschir aus dem Sudan in Schutz, die Übergriffe in Darfur sind kein Thema für die arabische Gemeinschaft. Und noch einmal macht er gute Miene auch zum bösen Spiel Gaddafis. Turnusgemäß hat der Libyer 2010 den Liga-Vorsitz und darf das Jahrestreffen ausrichten. Er wählt seine Heimatstadt Sirte für die bizarre Show. Eigens für den Gipfel lässt Gaddafi einen Satellitensender einrichten, über den sein Volk Tag und Nacht die Ereignisse verfolgen kann. Er begrüßt mit Pomp und Fanfaren den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, den spanischen Außenminister Miguel Angel Moratinos und seinen »lieben Freund« Silvio
Berlusconi aus Italien. Gaddafi war im Westen wieder hoffähig geworden, seit er sein Atomprogramm offengelegt und für die Opfer des Lockerbie-Anschlags gezahlt hatte; der angeblich geläuterte einstige Förderer des weltweiten Terrors sonnt sich geradezu im Glanz der internationalen Anerkennung. Da wollen auch die arabischen Führer nicht nachstehen.
Doch Liga-Chef Mussa muss sich einmal mehr demütigen lassen, seine Vorschläge für ein gesamtarabisches Sicherheitsforum interessieren den Gastgeber auf Egotrip wenig. Als der Generalsekretär die kümmerlichen Ergebnisse des Gipfels der Presse vorstellt, ist der Großteil der Teilnehmer schon abgereist – deutlicher hätte die arabische Spitze die Geringschätzung ihrer eigenen Liga kaum zum Ausdruck bringen können.
Nur zehn Monate später beginnt in Tunesien die Jasminrevolution, gehen die Demonstranten in Ägypten und vielen anderen arabischen Ländern auf die Straße. Nun ist auch Amr Mussa auf der Seite des Volkes – er, der zehn Jahre Außenminister Mubaraks war und allenfalls ein sanfter Kritiker, der nie die Systemfrage stellte, dann ebenso lang ein stets lavierender Chef der Arabischen Liga. Ist er nicht mehr als ein Wendehals, oder hat er wirkliche demokratische Überzeugungen?
Im Februar mischt er sich jedenfalls unter die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz und zeigt sich »berührt, wie herzlich ich empfangen wurde«. Im Mai gab Mussa sein Amt auf, weil er im Herbst bei der Präsidentschaftswahl in Ägypten kandidieren will. Sein Nachfolger als Liga-Generalsekretär wurde der ägyptische Außenminister Nabil al-Arabi.
Es könnten stürmische, aufregende, fruchtbare Jahre für die gesamte Arabische Liga folgen, wenn der demokratische
Aufbruch in der Region nicht missglückt. Es erscheint schwer vorstellbar, dass sich in dem bisher so kläglich gescheiterten Bündnis gemeinsame Zukunftsvorstellungen durchsetzen – das Liga-Mitglied Saudi-Arabien schickt Panzer gegen Demonstranten auf dem Staatsgebiet des Liga-Mitglieds Bahrain; das Liga-Mitglied Syrien hält ebenso wie der Sudan die von der Organisation mit ermöglichte Flugverbotszone über Libyen für Verrat.
Aber Revolutionen schreiben ihre eigenen Gesetze. Alles scheint möglich: Schwerter werden zu Pflugscharen. Und Dromedare zu Rennpferden.
Impulse vom König
Die jungen Marokkaner wollen
ihren Monarchen nicht stürzen, sondern ihm
Reformen abhandeln. Kann das gelingen?
Von Helene Zuber
Zangengeburt auf der Theaterbühne: Die Marokkanerin mit dem Kopftuch in der roten Landesfarbe liegt auf dem Operationstisch, ihr Kind will einfach nicht auf die Welt kommen – und das nach fast fünf Jahrzehnten Schwangerschaft. Ihr Kopf steckt in einer Schlinge. Die droht der Henker zuzuziehen, sobald die Frau geboren hat. Endlich befördert der Arzt das »Baby Verfassung« ins Freie – es ist ein ausgewachsener Mann. Im Mutterleib habe er all die Jahre so wunderbar geträumt. Ja wovon denn? »Ich hab’s vergessen.«
Das Publikum im ausverkauften Saal des französischen Kulturinstituts nahe dem Bahnhof von Rabat lacht und tobt vor Begeisterung über die Parabel, die eigens für diesen Abend geschrieben wurde. Denn auch Marokko wird mitgerissen vom arabischen Frühling. Junge Demonstranten in den größeren Städten fordern Freiheit und Demokratie. Im März hat der König angeboten, den Volksvertretern im Parlament und der gewählten Regierung Macht abzutreten. Im April sammelt eine Kommission bei Parteien und gesellschaftlichen
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