Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater
Wände und Böden das Skelett nicht verschüttet hatten, war zweifellos ein glücklicher Zufall, doch daß sein Schädel fast unversehrt geblieben war, grenzte an ein Wunder.
Es war nicht Gwen.
Das Gesicht trug keine menschlichen Züge.
Das dunkle Fell, das Sisyphos’ Kopf bedeckt hatte, war größtenteils verschmort. An manchen Stellen schimmerte der Schädelknochen durch die aufgeplatzte Haut. Das vorgewölbte Maul und das Raubtiergebiß gehörten unverkennbar dem Affen.
Das Gerippe hingegen unterschied sich kaum von dem eines ausgewachsenen Mannes, zumal es in der Hitze auseinandergefallen war und nicht mehr in seiner ursprünglichen Anordnung beieinanderlag. Die Knochen des Affen waren vom Feuer so schwarz gefärbt wie alle übrigen Reste des Gästehauses.
»Wie ist er dort hineingeraten?« fragte ich Faustus, der neben mir stand. Die anderen Traumschüler streiften auf der Suche nach weiteren Spuren durch die schwelenden Trümmer, doch ihre Mühe blieb erfolglos. Angelina und Bosch waren die ersten, die sich zu uns gesellten.
»Wenn ich das wüßte, wäre mir wohler«, erwiderte Faustus auf meine Frage. »Freiwillig hat er sich dem Feuer bestimmt nicht genähert. Tiere fürchten Flammen und Hitze noch viel mehr als wir Menschen.«
»Ihr glaubt also, er wurde ermordet?« fragte ich.
»Falls man bei einem Tier von Mord sprechen kann.«
»Dann ist Braumeister der Mörder«, stellte Nicholas fest.
Faustus winkte ab. »Noch spricht nichts gegen ihn.«
»Aber er ist verschwunden«, warf nun Walpurga ein, die ebenfalls neben uns trat. Ihre Stimme klang empört. Sie schien mit einem Mal gewillt, Arianes Anschuldigungen Glauben zu schenken.
Ich muß gestehen, auch mir schien der Verdacht nicht unbegründet.
»Verschwunden war auch Sisyphos«, entgegnete Faustus, »und seht selbst, wie es ihm ergangen ist. Weshalb sollte nicht auch Adelfons’ Leiche irgendwo liegen?«
»Er hat dieses Biest von Anfang an gehaßt«, sagte Nicholas. Sein Gesicht hatte sich vor Erregung rotgefärbt. Noch schien er unschlüssig, gegen wen er seinen Zorn richten sollte. Offenbar nährten die Ereignisse einen jener Anfälle, die Faustus kurz erwähnt hatte: Nicholas steht an der Schwelle zum Wahnsinn.
Ariane konnte Nicholas’ Beleidigung des toten Sisyphos nicht hören, sonst hätte sie zweifellos protestiert. Sie saß noch immer mit den Zwillingen im Haupthaus. Es war ihr unmöglich, sich auf eigenen Beinen hierher zu begeben. Ich fragte mich, wie sie das Schloß ohne den Affen jemals verlassen wollte. Irgend jemand würde sie zu ihrer Kutsche tragen müssen, wenn diese kam, um sie abzuholen. Vorausgesetzt, es lebte dann noch einer, um zu tragen oder getragen zu werden.
Faustus beachtete die Anschuldigungen der übrigen nicht länger und faßte statt dessen einen anderen Gedanken in Worte, der auch mich schon beschäftigt hatte: »Wollen wir den Leichnam des Affen bestatten?« fragte er in die Runde.
»Er ist nur ein Tier«, empörte sich Walpurga sogleich.
»Was tust du mit deiner Katze, wenn sie stirbt?« gab Faustus zurück.
Nicholas grinste hämisch. »Sie hext ihr neues Leben ein.«
Die Hexe funkelte ihn bösartig an, ließ sich jedoch nicht zu einer Erwiderung herab.
»Ich bin dafür, daß wir ihn begraben«, warf nun der alte Maler ein.
Nicholas schüttelte den Kopf und ging in die Richtung des Haupthauses davon. »Macht ihr euch nur die Mühe, wenn ihr glaubt, es sei nötig. Ich werde mich an solchen Kindereien nicht beteiligen.«
Walpurga stimmte ihm zu. »Ich ebenso«, sagte sie schnell, folgte Nicholas aber erst in einigem Abstand. Die Ablehnung der beiden füreinander war nicht zu übersehen.
Faustus, Bosch, Angelina und ich blieben zurück. Wir hatten weder Schaufeln noch sonstige Werkzeuge, deshalb schichteten wir über dem Gerippe und dem Schädel notdürftig Steine übereinander, bis der Tote völlig von ihnen bedeckt war.
Auch mir schien dieser Aufwand kaum gerechtfertigt, doch zugleich sagte mir etwas, daß es die richtige Entscheidung war. Wer konnte schon wissen, wieviel Menschliches in dem Affen gesteckt hatte?
Schließlich kehrten wir ins Schloß zurück. Faustus stieg mit Angelina und mir in den zweiten Stock hinauf, wo wir ungestört waren. Vor der Tür unseres Zimmers blieb er stehen.
»Ich möchte, daß ihr diesen Raum nicht verlaßt«, sagte er. »Es ist gefährlich in diesen Mauern, und es wird von Tag zu Tag gefährlicher.«
»Habt Ihr einen Verdacht, wer der Mörder ist?« fragte ich
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