Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater
leise.
Faustus hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Braumeister kommt in Frage, das ist nicht abzustreiten, und doch bin ich nicht überzeugt von seiner Schuld. Ich wüßte gerne, wo er steckt.«
»Warum haben wir die Suche dann abgebrochen?«
»Weil wir ihn nicht finden werden. Der Affe wurde in die Trümmer des Gästehauses gelegt, damit wir früher oder später über ihn stolpern. Wer immer ihn getötet hat, er wollte, daß wir Sisyphos entdecken. Hätte sich der Affe während des Feuers im Haus aufgehalten, hätten die Trümmer ihn verschüttet. Daß sein Leichnam obenauf lag, verrät deutlich, daß er mit Absieht dort abgelegt wurde.« Faustus holte tief Luft, bevor er fortfuhr: »Umgekehrt scheint mir dies aber zu bedeuten, daß wir Adelfons nicht finden sollen – sei es, weil er der Mörder ist und sich vor uns versteckt hält, oder aber, weil er selbst ein Opfer wurde und sein Körper irgendwo verscharrt liegt. Ansonsten hätte man dafür gesorgt, daß auch seine Leiche entdeckt wird. Das aber ist nicht geschehen.«
»Und daraus schließt Ihr, daß eine Suche vergeblich wäre?«
»Vorerst, ja.«
Nachdenklich lehnte ich mich mit dem Rücken gegen die Korridorwand. »Welchen Nutzen aber hat es für den Mörder, daß wir auf den Leichnam des Affen stießen?«
Faustus lächelte, offenbar zufrieden, daß ich diese Frage stellte. »Das ist es, was mir zu denken gibt. Vielleicht wollte er uns nur verunsichern, damit er leichtes Spiel mit seinen nächsten Opfern hat. Aber ich bin nicht sicher, daß dies der einzige Grund ist. Ehrlich gesagt, ich glaube, er plant etwas ganz anderes.«
***
Am frühen Abend begann Ariane zu schreien.
Vor den hohen Fenstern legte sich die Dämmerung über den Wald, bis Statuen und Ruinen in den verwilderten Gärten eins wurden mit der Dunkelheit. Angelina und ich hatten bereits vor einigen Tagen begonnen, eine einfache Zeichensprache zu entwickeln, mit der wir uns untereinander zu verständigen hofften. Natürlich waren auch damit weder Sätze noch echte Gespräche möglich, doch wir ordneten bestimmten Begriffen eindeutige Symbole zu, die sich leicht mit Hand und Fingern formen ließen. Wenn sich die Gelegenheit ergab, ergänzten wir unser bisheriges Alphabet durch neue Zeichen und Worte, was stets eine zeitaufwendige und nicht ganz einfache Sache war. Schließlich war es nicht damit getan, ein schlichtes Symbol zu ersinnen; es mußte zudem unverwechselbar, vor allem aber einprägsam sein. In der Regel ging das so vonstatten, daß ich einen Begriff vorschlug, der mir wichtig erschien, und Angelina anschließend ein entsprechendes Zeichen erfand. Daran feilten wir gemeinsam, bis es den Anforderungen unserer neuen Verständigung entsprach. Zu unserer beider Überraschung bereiteten uns diese Bemühungen einigen Spaß, und obgleich Angelina nicht lachen konnte, so war ihr doch anzumerken, daß sie Vergnügen an dieser Beschäftigung fand.
So hatten wir also den Nachmittag damit verbracht, im Schneidersitz auf dem Bett zu hocken und Fingersymbole für Worte wie »Tod« und »Mörder« zu finden, als uns Arianes Schreie aus unseren Vergnügungen rissen.
Es waren hohe, spitze Laute, die in ihrem Mißklang nur aus dem Munde einer einzigen Person stammen konnten. Ich war mir nicht einen Augenblick lang im Ungewissen, daß es die fette Ariane war, die die trügerische Ruhe zunichte machte. Den Geräuschen haftete etwas Keuchendes, beinahe Atemloses an, wie den Todesschreien eines abgestochenen Schweins. Ja, Arianes Schreie klangen zweifellos eher nach einem entsetzlichen Grunzen denn nach Lauten aus einem menschlichen Rachen.
Wir hörten, wie die Tür des Nebenzimmers aufgerissen wurde und Faustus den Flur hinabrannte. Mein Verlangen, ihm zu folgen, war größer als alle Vernunft. Natürlich wußte ich sehr wohl, was er befohlen hatte. Doch wie hätten wir in solch einer Lage tatenlos in unserem Zimmer sitzen können, hilflos und ohne eine Ahnung, was unter uns vor sich ging? Erneut entschlossen wir uns, die Anordnung meines Meisters zu mißachten und wie alle anderen zur Quelle des Kreischens zu eilen. Angelina und ich sprangen gleichzeitig vom Bett, stürmten hinaus auf den Gang und von dort aus die Treppe hinunter.
Ariane lag auf dem Bett in ihrem Schlafzimmer, doch sie hätte ebenso sitzen mögen. Ihre groteske Körperform machte es fast unmöglich, senkrecht von waagerecht zu unterscheiden. Sie ruhte in einer leichten Schrägstellung, was sich in ihrem Fall nur
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